"Genauso muss ein Elektroauto sein, Erhältlich ab 47.990€", schreibt Polestar auf deren Website und in beiden Punkten kann ich voll und ganz zuzustimmen. Das erste rein-elektrische Auto der rein-elektrischen Volvo-Submarke ist seit dem Produktionsschluss des ähnlich kreativ getauften Polestar 1 und bis zum Start des, Sie werden es nicht erraten, Polestar 3 ab Ende dieses Jahres das einzige momentan erhältliche Fahrzeug der Firma. Dieses kurze Zeitfenster als Einzelkind haben wir genutzt, um die günstigste der drei angebotenen Versionen (Standard Range Single Motor), auf ihre Winterfestigkeit zu überprüfen.

Ein Widerstandskoeffizient von 0.278 ist heutzutage nichts besonderes, speziell bei Elektroautos, dafür sieht der PS2 nicht aus wie ein Blob, wie so manche andere.
Foto: Andreas Stockinger

Seit Marktstart 2020 tritt unser Proband in der Mittelklasse-Elektro-Limousinen-Rubrik primär gegen den Goliath dieses Segments an, den Tesla Model 3. Der überzeugt vor allem durch seine ausgezeichnete Reichweite, für viele immer noch der Knackpunkt in Sachen E-Mobilität. Gibt es einen Grund, hier den Underdog vorzuziehen? Ja, unter anderem dann, wenn man auf das Vorhandensein eines Armaturenbretts besteht.

Aber schauen wir uns die Nummer 2 erst einmal von außen an. Wie Sie anhand der beiliegenden Bilder erkennen können, handelt es sich hier um ein sehr gut aussehendes Auto. Es ist schwer zu beschreiben, was genau den Polestar 2 hervorhebt. Es gibt kein besonderes Design-Feature, auf welches man zeigen könnte, keine Flügel-, Scheren- oder Schmetterlingstüren, keinen fetzigen Heckspoiler oder auffälligen Analogkühlergrill. Am markantesten ist noch das Hecklicht, wie schon bei Papa Volvo, und auch hier herrscht strikter Minimalismus: Es ist rechteckig.


Die Schokoladenseite des Polestar 2, mit Wiedererkennungswert.
Foto: Andreas Stockinger

Der Polestar 2 hat eben ein gewisses je-ne-sais-quoi, und man kann nur hoffen, dass die Marke diese Designsprache in Zukunft beibehalten kann. Nummer 3 wird ja wenig überraschend ein SUV und hat enttäuschenderweise schon einen Deut weniger dieser etwas kantigen Gene geerbt, ist etwas gewöhnlicher.

Kleinigkeiten

In der Zukunft ist eben alles minimalistisch und Polestar möchte diese Zukunft mitdefinieren, sehr wenig in diesem Auto ist überflüssig. Die Mittelkonsole behaust den Ganghebel und nicht viel mehr, vier bis fünf Tasten haben die Digitalisierung überlebt, Warnblinkanlage und Lautstärkeregler sind zum Glück darunter.

Für jede Funktion, die sich noch nicht aufs Bord-iPad verirrt hat, gibt’s Bonuspunkte, besonders bei diesem Auto, weil die Infotainment-Software nicht unbedingt überzeugend ist. Per se fehlt nichts, Design und Layout erinnern leider ein bisschen an die frühe Smartphone-Ära. Definitiv nutzbar, leider nicht ganz im Stil des restlichen Fahrzeugs und auf jeden Fall etwas unausgereift, besonders was das Aussehen angeht. Vielleicht wird das ja noch mittels Software-Update behoben.

Zentral in der Mittelkonsole präsentiert sich dieses Kunstwerk stolz und lässt einen den Gang wählen, wenn man daran zieht.
Foto: Andreas Stockinger

Schade eigentlich, vor allem, weil die UI des (existierenden, hust hust, Tesla) Armaturenbretts um einiges ansprechender gestaltet ist. Alle relevanten Informationen sind klar und deutlich dargestellt, ohne von irgendwelchen Mustern oder "Verschönerungen" verschleiert zu sein (hust hust, Mercedes).

Ein weiterer kleiner Makel befindet sich am Heck: Der Schalter zum Öffnen des Kofferraumdeckels weilt circa auf Schienbeinhöhe. Er ist nicht etwa an der Heckklappe selbst – nein, das würde der Ästhetik schaden –, sondern darunter, über dem Kennzeichen, zu finden. Wenn Sie den Gatsch der letzten zwei Wochen an den Fingerkuppen spüren, sind Sie genau richtig. Ich empfehle, den Fuß unter die Stoßstange zu strecken, um an den – zugegeben: sehr geräumigen – Kofferraum zu gelangen.

405 Liter Kofferraum verstecken sich unter dieser Heckklappe, für diejenigen die des Polestars Rätsel lösen.
Foto: Andreas Stockinger

Dennoch

Genug gesudert. Ein Auto, das derart vieles richtig macht, lädt dazu ein, auch kleinste Mängel unter die Lupe zu nehmen. Beispiel: Startknopf. Den gibt’s nämlich nicht mehr. Gerade erst hat er seinen Vorgänger, das Zündschloss, usurpiert, schon ist er obsolet. In den Polestar setzt man sich rein, schnallt sich an und fährt los. Wertvolle Sekunden werden gespart.

Ausparken. Im Retourgang kippen sich die Rückspiegel nach unten, um bessere Sicht auf Randsteine und ähnliche bodennahe Hindernisse zu ermöglichen. Davon wird man allerdings selten Gebrauch machen, eine Rundumkamera erleichtert das Manövrieren in den engsten Parkgaragen. Sehr willkommen, bei einer Länge von 4,6 Metern und 11,5 Metern Wenderadius.

Schlichtes Innenleben, fokussiert sich aufs Notwendige.
Foto: Andreas Stockinger

Die andere Fahrtrichtung wurde natürlich auch nicht vergessen und beschert uns, selbstverständlich, einen adaptiven Tempomat mit Lenkassistenz, der auf der Autobahn sehr souverän agiert. Leider nur auf der Autobahn. In der Stadt lässt man besser die Finger davon, was auch nicht tragisch ist, denn auch manuelle Fahrt ist im Polestar recht angenehm, dank einiger Fahroptionen, die so nur ein E-Auto hergeben kann. Standgas (engl. Creep), beispielsweise, ist ein Überbleibsel der Verbrennungsmotoren und kann getrost deaktiviert werden. So bewegt sich das Auto keinen Millimeter von selbst, auch bei losgelassener Bremse. Wenn man sich ganz sicher sein möchte, drückt man einmal fest auf die Bremse und sie blockiert, bis man wieder anfahren möchte – eine Spezialität von Mercedes.

Alternativ lässt sich auch die Aggressivität der Rekuperation erhöhen, um One-Pedal-Driving zu ermöglichen. Das schont die Bremsklötze und steigert die Reichweite. Nur mit dieser Technologie war es machbar, eine Fahrt nach Bruck an der Mur und zurück nach Wien zu bewältigen, ohne auch nur einmal das Bremspedal zu berühren, ein Vorhaben, das ich bei einem herkömmlichen Fahrzeug nicht empfehlen kann.

Die Volvo-Abstammung ist zwar noch vage erkennbar, das Polestar-Design scheint aber ein echter Erfolg zu sein.
Foto: Andreas Stockinger

Ganz haben die 80 % in der Batterie leider nicht gereicht, aber nach einer halben Stunde an der Schnellladestation in der McDonald´s Straße 1 in Spital am Semmering war der Akku wieder gesättigt, ich ebenfalls, und mein Konto um 32Euro leichter. Meiner Überschlagsrechnung nach wäre ein Benziner etwas günstiger gewesen. (Felix Pisecker, 16.1.2023)