In "Die Milchfrau" gibt es schöne Chansons und Chorgesang.

Apollonia T. Bizan

In den 1920ern, da gab es noch sogenannte Milchfrauen, und eine von ihnen war die Russin Alexandra Galina Djuragina. Mit ihrem Ehemann, dem Österreicher Arnulf von Hoyer, und dem kleinen Sohn Jurka wurde sie Mitte der 20er-Jahre aus Russland ausgewiesen. In großer ökonomischer Not übernahm die Familie in Wien ein Milchgeschäft, und während ihr Mann weiter seine akademische Karriere verfolgt (von der auch sie selbst geträumt hatte), wird Alexandra zur Milchfrau.

Aus ihren Tagebuchaufzeichnungen über diese nur wenige Jahre dauernde Phase ihres Lebens als Greißlerin entstand der unter dem Pseudonym Alja Rachmanowa veröffentlichte autobiografische Text Milchfrau in Ottakring, der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde.

Das Künstlerinnenkollektiv Makemake um Regisseurin Sara Ostertag hat den Roman nun für eine Inszenierung am Wiener Kosmostheater adaptiert. Der Inhalt scheint für Ostertag dabei nur in bestimmten Motiven interessant, weite Teile des Textes, etwa über Alexandras Heimweh, streicht sie komplett, dafür überformt sie das Element der Milch im Anschluss an Theoretiker Paul B. Preciado zu einer "wertvollen biopolitischen Flüssigkeit", als Produkt weiblicher Arbeitskraft.

Skizzenhaft und unmotiviert

Auch wenn die Szenen, in denen Michèle Rohrbach als Milchfrau violett eingefärbte Flüssigkeit aus auf ihre Brüste gelegten Schwämmen in Milchfässer füllt, visuell stark sind, inhaltlich überzeugt dieser bemüht wirkende Zugang nicht.

Zu Herzen geht Martin Hemmers Darstellung von Sohn Jurka, sowohl die Zeichnung von Alexandras Ehemann (Benedikt Steiner) und erst recht jene der Greißlereikundinnen bleiben aber oft skizzenhaft und unmotiviert. Besser funktioniert der wahrlich saftige Abend auf einer sinnlichen, atmosphärischen Ebene, Flüssigkeit ist bestimmendes Element: Die mit Holzdielen eingefasste, runde Drehbühne (Nanna Neudeck) erinnert an ein riesiges Fass und wird recht bald mit Wasser und diversen eingefärbten Flüssigkeiten geflutet.

Dieses Spiel mit Farbe ist ein Markenzeichen von Ostertag, das zwar mittlerweile oft beliebig und sinnentleert wirkt, aber hier durchaus für schöne, ein wenig traumhafte Bilder sorgt. In diesem Wasserbecken führt das Ensemble (außerdem: Felix Rank, Mave Venturin, Jeanne Werner) wunderbar aus der Zeit gefallenes Wasserballett auf (Choreografie: Martina Rösler), untermalt von französischen Chansons oder italienischem Chorgesang.

Stimmiger Liederabend

Für Chorleitung und Arrangements ist Verena Giesinger vom großartigen Wiener Schmusechor verantwortlich, für Komposition und Livemusik hat das Kollektiv zudem Liedermacher Paul Plut ins Boot geholt. Barča Baxant performt daneben ein rauchiges Vienna Waits for You, und auch Peaches’ sexpositive Hymne Fuck the Pain away darf nicht fehlen. Als stimmig und mitreißend bebilderter Liederabend funktioniert Die Milchfrau bestens. (Andrea Heinz, 9.12.2022)