Nora Kahn hat die Angst vor ihrem Ex-Chef Fellner überwunden und spricht jetzt offen über ihre Erfahrungen.

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"Dieser Mann hat mich zerstört", sagt Nora Kahn heute über ihren ehemaligen Chef. Rund zwei Jahre arbeitete sie als Moderatorin bei oe24.tv, dem Sender des Medienmachers Wolfgang Fellner. In dieser Zeit soll Fellner sie mehrmals angeschrien, sexuell belästigt und bedrängt haben. All das gipfelte in einer Bootsfahrt auf einem bayrischen See, bei der er besonders derb geworden sein soll.

Jetzt, erst mehr als vier Jahre nach ihrer Kündigung, kann Kahn über ihre Erfahrungen offen sprechen. "Ich will, dass die Wahrheit ans Licht kommt", sagt sie heute. Kahn ist nicht die erste Ex-Mitarbeiterin Fellners, die ihm sexuelle Belästigung vorwirft.

Ende Mai 2019 entließ Fellner die Moderatorin Raphaela Scharf, nachdem sie gesagt hatte, er habe sie bei einem Fotoshooting begrapscht. Nach ihren wurden die Vorwürfe Katia Wagners, Angela Alexas sowie zwei weiterer Ex-Mitarbeiterinnen öffentlich. Drei Jahre und zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen später wurde Fellner zweimal strafrechtlich wegen übler Nachrede verurteilt, weil er die Schilderungen seiner Opfer als Lüge bezeichnet hatte. Im Fall Wagner musste er sich öffentlich entschuldigen und seine Behauptung widerrufen, die Vorwürfe seien frei erfunden. Auch im Fall Scharf wurden Fellners Medien Widerrufe auferlegt.

Fellner sagt auf Nachfrage, dass es aus seiner Sicht "niemals" zu Belästigungen gegenüber Kahn gekommen sei. "Die Beziehung war aus meiner Sicht eine einvernehmlich freundschaftliche", schreibt er in seiner Stellungnahme. Es habe seit dem Ausscheiden Kahns und auch vorher keine einzige Beschwerde gegen ihn gegeben, weder bei der Geschäftsführung noch beim Betriebsrat.

"Nicht sein Beuteschema"

Kahns Geschichte wirft einen weiteren dunklen Schatten auf Fellners Medienunternehmen. Kahn arbeitete zum Start des TV-Senders im Jahr 2016 redaktionell als Content-Managerin, trat aber schon wenige Monate später das erste Mal als Moderatorin vor die Kamera. Ab September 2017 leitete sie die Society-Sendung auf oe24.tv.

Bereits zu Beginn soll Kahn klargemacht worden sein, dass sie nicht am Sendergründer und Mastermind hinter der Mediengruppe Österreich, Wolfgang Fellner, vorbeikomme. Als sie ihren Wunsch äußerte, auch einmal vor der Kamera stehen zu wollen, soll ihr gesagt worden sein, dass sich das nicht ausgehe, weil sie ja nicht blond sei. Sie habe damals bereits Gerüchte über Fellners Umgang mit jungen Frauen gehört, fühlte sich als Dunkelhaarige aber in Sicherheit. "Ich dachte, ich war nicht sein Beuteschema", erinnert sie sich heute.

Ihre Erinnerungen hat Kahn in einer eidesstattlichen Erklärung festgehalten. Darin beschreibt sie auch, wie Fellner ihre beruflichen Ambitionen ausgenutzt haben soll. Ihre Aussagen, die DER STANDARD überprüft hat, sind belegbar.

Keine Zeit in der Redaktion

Nach etwas mehr als einem halben Jahr im Unternehmen sei sie den Ankündigungen zum Trotz als Nachrichtenmoderatorin eingesetzt worden. Nach rund einem Monat aber sei sie plötzlich wieder abgezogen worden. Mithilfe ihrer Kalendereinträge lässt sich rekonstruieren, dass sie Fellner am 6. April 2017 im Haus angetroffen und gefragt haben soll, ob die Entscheidung mit ihrem Aussehen zu tun habe. Er soll verneint und ihr versprochen haben, etwas für sie zu finden. Das habe er nicht zwischen Tür und Angel besprechen wollen, erinnert sich Kahn.

Einige Wochen später soll er sie angerufen und ein Abendessen vorgeschlagen haben. In der Redaktion habe er keine Zeit, die Pläne zu besprechen, soll er wiederholt gesagt haben.Beim Abendessen Ende Juni 2017 im Lokal Mario in Wien-Hietzing soll die Idee einer Society-Sendung entstanden sein. Auf den zweiten Abendtermin rund zehn Tage später soll sich Kahn gut vorbereitet haben. Sie sei überrascht gewesen, dass Fellner plötzlich ihr Aussehen kommentiert habe. Er habe sie auch als "Superstar" gelobt und sie für den geplanten Relaunch des Senders im Herbst an Bord holen wollen. All das müssten sie aber in Ruhe auf Ibiza besprechen, soll er gesagt haben.

Einladung nach Ibiza

Die Einladung in sein Haus auf Ibiza im Juli 2017 sei immer konkreter geworden. Fellner soll dies vor Kahn damit begründet haben, dass er seine Projekte immer in Ruhe auf Ibiza plane. Sie sei nicht die erste Mitarbeiterin gewesen, mit der er auf der Urlaubsinsel gearbeitet haben soll. An den abendlichen Terminen und an der Einladung nach Ibiza fand die damals 38-jährige Kahn nichts Anstößiges. Sie sah ihre berufliche Chance. Im Nachhinein sieht sie es anders: "Kaum war das Projekt im Spiel, wurde die Angel ausgefahren."

Auf Ibiza hätten sie zwar an dem neuen Design des Senders gearbeitet, Fellner soll jedoch schnell übergriffig geworden sein und sie auch körperlich bedrängt haben. "Mir wurde klar, ich muss hier weg", sagt sie heute. Spontan buchte sie am 21. Juli 2017, am zweiten Tag ihres Aufenthalts, einen Flug zurück nach Wien. Das belegen Kreditkartenrechnungen. Bei Fellner habe sie sich mit der Notlüge entschuldigt, dass ihr Sohn im Spital liege.

"Ich arbeitete viel und hart"

Fellner bestätigt auf Nachfrage, dass es einen Besuch auf Ibiza gab. Dort soll die Society-Sendung entwickelt worden sein. Zu Belästigungen sei es aber aus seiner Sicht nie gekommen. Details zu seiner Beziehung mit Kahn würden dem Schutz des Privatlebens unterliegen. Die "freundschaftliche Beziehung" zu Kahn sei in der Redaktion bekannt gewesen, weil sie "zahlreiche Veranstaltungen, Events, aber auch Partys gemeinsam besucht" hätten, schreibt Fellner. Kahn dementiert: Nie sei sie mit ihm privat auf Veranstaltungen gegangen.

Im September 2017 ging Kahn mit ihrer Society-Sendung on air. "Ich arbeitete viel und hart", sagt sie. Ihr Gehalt sei trotz angeblicher Versprechen Fellners nicht erhöht worden, sagt sie. Jedoch soll Kahn weiter ins Visier ihres Chefs gekommen sein.

Schreitiraden in Redaktion

Zweimal soll er Kahn in der Redaktion zwischen September 2017 und Juli 2018 begrapscht haben, erinnert sie sich. Und mehrmals sollen Kollegen aus der Branche ihr geraten haben, darüber nicht zu reden. Sie moderierte weiter, litt aber unter der Situation. Auch die Schimpftiraden und Schreianfälle Fellners in der Redaktion hätten ihr zugesetzt. Dazu nahm Fellner nicht Stellung.

Als Fellner Monate später einen weiteren Relaunch seines Senders für September 2018 ankündigte, habe auch sie mit ihm über die Zukunft ihrer Society-Sendung sprechen wollen. Dafür müsse sie ihn in Bayern besuchen, soll Fellner insistiert haben. Aus gesundheitlichen Gründen sei er im Juli dort gewesen.

Fellner: "Du gehörst eh einmal ordentlich durchgebumst"

In seinem Hotel am Tegernsee angekommen, wurde sie von Fellner am 18. Juli 2018 zu einer Bootsfahrt auf dem Schliersee eingeladen. Am Boot sollen sie über die Entwicklung ihrer Sendung gesprochen haben. Kahn habe bei der Gelegenheit gefragt, wie es mit dem ihr versprochenen "Ressortleitergehalt" aussehe. Fellner soll zuerst abgeblockt und ihr vorgeworfen haben, "saure Heulvorträge" zu halten. Schließlich soll er ihr doch ein besseres Gehalt ab September versprochen, aber von ihr Unterstützung beim Relaunch gefordert haben. Außerdem soll er versucht haben, sie wieder in sein Haus auf Ibiza einzuladen. Sie habe sowieso noch keinen Urlaub gehabt, sagte Fellner angeblich. Als Kahn ihm zustimmte, dass sie noch keinen wirklichen Urlaub habe, soll er gesagt haben: "Du gehörst eh einmal ordentlich durchgebumst!"

Kahn erinnert sich, daraufhin erstarrt zu sein. Fellner soll aber nicht lockergelassen und gefragt haben: "Richtig oder nicht richtig?" Kahn soll daraufhin verneint und gesagt haben, dass sie arbeiten müssten. Fellner bestätigt auf Nachfrage, dass ihn Kahn einen Tag am Tegernsee besucht habe, bestreitet aber, dass es zu Belästigungen gekommen sei. Er schreibt außerdem, dass er nicht für die Gehaltswünsche Kahns verantwortlich gewesen sei. Es liegen jedoch zahlreiche Aufzeichnungen und eine E-Mail vom 15. Juni 2018 von Fellner an Kahn vor, in dem er ihre Gehaltsvorstellungen ablehnte. Auf erneute Nachfrage sagt Fellner, dass er diese E-Mail mit Kahns direkter Vorgesetzten abgestimmt hätte.

Plötzlich gekündigt

Direkt nach der Bootsfahrt fuhr Kahn so schnell wie möglich zurück nach Wien. Der Relaunch fand im September 2018 statt, Gehaltserhöhung bekam Kahn aber keine. Sie besuchte Fellner auch nicht noch einmal auf Ibiza. Zu diesem Zeitpunkt habe sie gespürt, dass es bald vorbei sein werde. "Ihn zweimal abzulehnen ist dein Todesurteil", sagt sie heute. Wenige Wochen später war es so weit. Fellner schrie Kahn in der Redaktion an, beschuldigte sie einer Intrige und beschimpfte sie als "Arschloch".

Zu diesem Vorwurf nahm Fellner auf Nachfrage nicht konkret Stellung. Er sagt aber, dass er im Tagesgeschäft kaum mit Kahn in Kontakt gewesen sei. Zahlreiche Aufzeichnungen widersprechen dieser Darstellung.

Ende Oktober 2018 wurde Kahn gekündigt. Zunächst wollte sie über die Vorfälle gar nicht sprechen, auch zum Schutz ihrer Familie. Sie habe negative Reaktionen im Umfeld ihrer Kinder gefürchtet und war auch nicht juristisch beraten. So wie andere Frauen auch, die von Fellner belästigt worden sein sollen, will Kahn zunächst nicht klagen. Sie strebe aber ein Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission an. "Jetzt habe ich keine Angst mehr", sagt sie heute. "Ich will, dass meine Kinder und alle Frauen wissen, dass ihnen niemand so etwas antun darf." (Laurin Lorenz, 9.12.2022)