Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nimmt 50 Millionen Euro in die Hand, um Obdachlosigkeit zu verhindern.

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Vom Ärger über das Schengen-Veto über einen neuen Energiekostenzuschuss bis zu den schlechten Umfragewerten für die ÖVP: Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Karl Nehammer stellte sich in der ORF-"Pressestunde" am Sonntagvormittag einem breiten Spektrum an Fragen. Diese stellten ORF-Innenpolitikchef Hans Bürger und Petra Stuiber, die stellvertretende Chefredakteurin des STANDARD.

Die "Pressestunde" zum Nachschauen.
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Das Veto Österreichs gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien verteidigte Nehammer trotz Protesten aus der heimischen Wirtschaft einmal mehr. Man dürfe wirtschaftspolitische und sicherheitspolitische Fragen nicht vermischen, so der Kanzler, es sei "klar eine Frage der Sicherheit für Österreich".

Rumänische Pflegende

Auch der Hinweis darauf, dass viele Rumäninnen und Rumänen hochbetagte Menschen in Österreich pflegen und diesen die Einreise weiter erschwert würde, ließ der Regierungschef nicht gelten: Wenn der Schutz der EU-Außengrenzen nicht funktionierte, könne man auch die Innengrenzen nicht öffnen.

Zudem sei Österreich, das unter den Top drei Ländern bei der Aufnahme von Geflohenen sei, mit dieser Entscheidung nicht allein gewesen, auch die Niederlande teilten diesen Standpunkt. Die Niederlande hatten sich aber nur gegen den Beitritt Bulgariens, nicht Rumäniens ausgesprochen – was auch im Sitzungsprotokoll festgehalten wurde.

Österreichische Behörden wüssten durch Aufgriffe von 100.000 durch irreguläre Migration gekommene Menschen und deren Befragung besser als andere Länder, über welche Routen diese kämen. Man arbeite an einem neuen Zuwanderergesetz.

"Asyltourismus"

Nehammer bemühte auch mehrmals den umstrittenen Begriff "Asyltourismus" und führte auf Nachfrage aus, dass er damit etwa Menschen meine, die von Indien oder Pakistan nach Serbien fliegen und von dort Richtung Österreich aufbrechen.

Dass man sich auf das Asylthema konzentriere, weil in Niederösterreich eine Wahl anstehe, wies Nehammer zurück: "Wir haben uns diese 75.000 nicht registrierten Migranten nicht ausgesucht. Wir müssen handeln, weil es ein faktenbezogenes Problem gibt."

Zu Bulgarien, wo vor wenigen Tagen Geheimgefängnisse für Geflohene, in denen schwere Menschenrechtsverletzungen passieren sollen, bekannt wurden, sagte Nehammer, dass dort auch Polizisten ermordet worden seien.

Gaspreisbremse

In Sachen Teuerungen und Energiekrise kündigte der Kanzler weitere Hilfen für Unternehmen im neuen Jahr an: Wegen der Gaspreisbremse in Deutschland gebe es hier Nachbesserungsbedarf, wenn kein Wettbewerbsvorteil für die deutsche Industrie entstehen solle. Der Entwurf werde gerade von Finanz-, Wirtschafts- und Infrastrukturministerium verhandelt und solle noch vor Weihnachten vorliegen.

Von den angekündigten zusätzlichen 500 Millionen Euro zur Aufstockung des Wohn- und Heizkostenzuschusses sollen 50 Millionen Euro gegen Obdachlosigkeit eingesetzt werden, wenn Delogierungen drohen, so Nehammer.

"Radikalisierter Herr Kickl"

FPÖ-Chef Herbert Kickl kritisierte Nehammer scharf, der Kanzler sprach von einem "radikalisierten Herrn Kickl", der Falschinformationen bezüglich der Sanktionen gegen Russland im Stil russischer Kriegspropaganda verbreite: Nicht die Sanktionen seien schuld an den Teuerungen in Österreich, sondern der Krieg.

Das Abrutschen auf den dritten Platz in einer aktuellen Umfrage des Market-Instituts für den STANDARD, in der Kickls FPÖ Platz eins belegt, nahm der ÖVP-Chef scheinbar gelassen: Umfragen seien nicht Teil der Verfassung. In Österreich gebe es "fast schon einen Fanatismus, was Umfragen betrifft". Die einzige Zahl, die für ihn als Kanzler bis 2024 zähle, sei: "Wie hoch ist die Inflation?" Er habe bewiesen, dass er ein "krisenfester" Kanzler sei.

Der ÖVP-Korruptionsausschuss sei für ihn schon durch dessen Namen eine Vorverurteilung. Seine Regierung habe jedenfalls in Sachen Medientransparenz und Parteienfinanzierung gesetzliche Änderungen auf den Weg gebracht. Wann genau das Amtsgeheimnis abgeschafft werde, ließ er unbeantwortet.

SPÖ: Viele Baustellen, keine Lösungen

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch sah im "Pressestunden"-Auftritt Nehammers in einer Aussendung ein "Spiegelbild der bisherigen Performance" der Regierung. "Eine Stunde lang erfolglose Selbstverteidigung gegen die Kritik des Nichtstuns und Scheiterns in den wichtigen politischen Bereichen Teuerung, Energiesicherheit und Migration." Seine Zusammenfassung: "Viele Baustellen, keine Lösungen." Statt Maßnahmen zur Senkung der Preise gebe es nur "Zaudern und Zögern und Einmalzahlungen, die rasch verpuffen und gegen die Inflation nicht wirksam sind".

Die Wirtschaftskammer (WKO) reagierte indessen erfreut über die vom Kanzler angekündigten weiteren Hilfen für Unternehmen rund um die Preissteigerungen für Energie. "Das ist ein wichtiges Signal an die Betriebe vor Weihnachten. Es geht um rasche Planungssicherheit für 2023, denn für 83 Prozent der heimischen Unternehmen sind die Energiekosten derzeit die größte Herausforderung", sagte WKO-Präsident Harald Mahrer am Sonntag laut einer Aussendung. (Colette M. Schmidt, red, APA, 11.12.2022)