Wien – Der Nationalrat begann Dienstagmittag seine letzte Plenarwoche im Jahr 2022. Am ersten Sitzungstag standen die Regierungspläne für Gewinnabschöpfungen bei Energieunternehmen genauso auf dem Programm wie Gehaltsanpassungen im öffentlichen Dienst, neue Leistungsmessungen an Schulen – und Neuwahlanträge von FPÖ und SPÖ.

Zu Beginn der Sitzung berief die FPÖ eine aktuelle Stunde über die Arbeit der Regierung ein. Titel: "Wohlstand und Sicherheit für Österreich statt EU-Sanktionen und Masseneinwanderung". Die Freiheitlichen brachten – ebenso wie die SPÖ – einen Neuwahlantrag ein. Erwartungsgemäß hatten beide keinen Erfolg. Die Neos hatten im Vorfeld in einer Pressekonferenz angekündigt, den Neuwahlanträgen zuzustimmen.

Kickl beharrt auf Aus für Sanktionen

Klubchef Herbert Kickl wandte sich in seiner Rede gleich direkt an Kanzler Karl Nehammer (ÖVP). Zum Ende des Jahres gebe es viel Redebedarf, betonte der Freiheitliche. Und damit meine er nicht die Unwahrheiten, die Nehammer über die türkise Wahlkampffinanzierung "verzapft" habe, sagte Kickl in Anspielung auf die drohende weitere Strafe für die ÖVP wegen der Überschreitung der Wahlkampfkostengrenze im Jahr 2019. Vielmehr wolle er über die Teuerung und die "Völkerwanderung" sprechen, mit der Österreich gegenwärtig konfrontiert sei.

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Die Menschen würden sich das Leben nicht mehr leisten können, betonte Kickl. Das sei das Ergebnis einer "dummen und verantwortungslosen Politik auf Basis von einseitigen Schuldzuweisungen" im Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Einmal mehr kritisierte er die EU-Sanktionen gegen Russland: "Steigen Sie aus den Sanktionen aus, das ist die einzig wirksame Antiteuerungsmaßnahme."

Ebenso unzufrieden zeigte sich Kickl mit der Asyl- und Migrationspolitik des Kanzlers. Was die Zahl der Asylanträge angehe, habe Nehammer Österreich zum "negativen Spitzenreiter in der EU gemacht. Dabei sind wir ein kleines Land umgeben von sicheren Staaten." Das passiere eben, wenn man Asylsuchende etwa mit einem Klimabonus "ausstattet", konstatierte Kickl. Nur in einem Punkt zeigte sich der blaue Klubchef mit dem türkisen Kanzler zufrieden: der von Österreich blockierten Schengen-Erweiterung um Bulgarien und Rumänien. "Ich bin auch dafür, dass Schengen nicht erweitert wird", sagte Kickl. Das sei aber nicht jener "Befreiungsschlag gegen die Völkerwanderung", der nötig sei.

Kanzler verteidigt Absage an Rumänien und Bulgarien

Nehammer nahm diesen Ball in seiner Replik bereitwillig auf. Erneut begründete er das österreichische Veto gegen die Erweiterung damit, dass das grenzenfreie Europa schon jetzt nicht funktioniere. Ihm gehe es nicht um "die schnelle Schlagzeile", sondern um die 75.000 nicht registrierten Migranten, die heuer in Österreich aufgegriffen worden seien. "Wenn wir nicht wissen, wer unsere Grenzen überschreitet, dann hat nicht nur Österreich ein Thema, sondern dann hat die EU ein Thema", betonte er. Kickl habe daher recht, dass die Situation besorgniserregend sei.

FPÖ-Klubchef Herbert Kickl und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in der aktuellen Stunde.
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Voraussetzung für die Schengen-Erweiterung sei, dass der europäische Außengrenzschutz tatsächlich einmal funktioniere, sagte der Kanzler. Bis dahin müsse sich Österreich selbst helfen, betonte er – und nahm die EU-Kommission in die Pflicht. Sosehr er zur Schengen-Erweiterung Nein sage, so sehr würde er mehr finanzielle Mittel von der EU für den Grenzschutz befürworten, etwa zum Bau eines Zauns in Bulgarien.

Dann war es mit der Einigkeit aber auch schon wieder vorbei. Nehammer verteidigte vehement die – auch in seiner Partei durchaus umstrittenen – Sanktionen gegen Russland. "Der Krieg ist von Russland ausgegangen. Es ist klar, wer hier Aggressor und wer Verteidiger ist", hielt Nehammer fest. "Gäbe es keinen Krieg, gäbe es keine Sanktionen, keine brutale Spekulation im Energiebereich und kein Leid."

Neos: ÖVP spiele auf Populismus-Klaviatur

Nach den Reden von Kickl und Nehammer zeigte Grünen-Mandatar Michel Reimon Unverständnis darüber, warum man der FPÖ den Gefallen mache, auf jede Flüchtlingsdebatte einzusteigen: "Die feiern ein inneres Fest." Neos-Abgeordneter Nikolaus Scherak warf der ÖVP in Sachen Schengen-Veto vor, auf der Populismus-Klaviatur zu spielen. Dass Flüchtlinge in großer Zahl erst in Österreich registriert würden, sei nicht die Schuld der EU-Kommission, sondern die von ÖVP-Freunden wie dem ungarischen Premier Viktor Orbán.

SP-Sozialsprecher Josef Muchitsch wollte selbst am liebsten über soziale Ungerechtigkeit sprechen und zählte Beispiele auf, wo hier die Regierung aus seiner Sicht versagt hat, etwa indem Besserverdienende eine höhere Pendlerpauschale erhalten als jene mit niedrigen Einkommen.

Beschluss von Gewinnabschöpfung

Im Unterschied zu den Neuwahlanträgen beschlossen wurde das Ergebnis der Gehaltsverhandlungen im öffentlichen Dienst: Die Löhne der Beamtinnen und Beamten werden an die Inflation angepasst. Der Gehaltabschluss bringt ein Plus zwischen 7,15 und 9,41 Prozent. Im Schnitt beträgt die Erhöhung 7,32 Prozent.

Weiters auf der Tagesordnung: die geplante Gewinnabschöpfung für Energieunternehmen. Die entsprechenden Gesetze erhielten die Zustimmung von ÖVP, Grünen und Neos, ebenso eines für die – freiwillige – Stromverbrauchsreduktion. Den Rahmen für die Gesetzesanträge bildet die im Oktober beschlossene EU-Notfallmaßnahmenverordnung.

Mit dem Energiekrisenbeitrag für fossile Energieträger werden die krisenbedingten Gewinne von Öl- und Gasfirmen im zweiten Halbjahr 2022 und 2023 besteuert. Als Vergleichszeitraum wird der Durchschnittsgewinn der Jahre 2018 bis 2021 herangezogen. Liegt der aktuelle Gewinn um mehr als 20 Prozent über diesem Durchschnitt, werden 40 Prozent davon abgeschöpft. Um Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu unterstützen, wurde jedoch ein Absetzbetrag vorgesehen, der den Beitragssatz auf 33 Prozent reduziert. Die Investitionen müssen grundsätzlich zwischen dem 1. Jänner dieses Jahres und dem 31. Dezember des kommenden Jahres getätigt werden.

Stromverbrauchsreduktionsgesetz

Mit dem Energiekrisenbeitrag Strom wiederum wird der Erlös von Stromerzeugern mit einer installierten Kapazität von mehr als 1 MW mit 140 Euro pro MWh gedeckelt. Dies betrifft die Veräußerung von im Inland erzeugtem Strom aus Windenergie, Solarenergie, Erdwärme, Wasserkraft, Abfall, Braunkohle, Steinkohle, Erdölerzeugnissen, Torf und Biomasse-Brennstoffen mit Ausnahme von Biomethan.

Dritte Maßnahme ist das Stromverbrauchsreduktionsgesetz. Es hat zum Ziel, den Stromverbrauch in "Spitzenzeiten" (8 bis 12 Uhr sowie 17 bis 19 Uhr) um durchschnittlich mindestens fünf Prozent zu reduzieren, um die Strompreise zu senken, den Verbrauch von fossilen Brennstoffen zu minimieren und das Risiko von Versorgungsengpässen herabzusetzen. Die Maßnahmen sollen auf Freiwilligkeit basieren. Sollten Maßnahmen wie Aufrufe nicht zum Ziel führen, könnten Ausschreibungen über Stromverbrauchsreduktionen kommen.

Eine kleine Reform steht auch im Bildungswesen an. Die bestehenden Leistungsmessungen werden mit Beschluss des Nationalrats erweitert. Die "individuelle Kompetenzmessung plus" soll in der dritten, vierten, siebenten und achten Schulstufe ergänzt werden. Sie soll aber nur zum Teil verpflichtend eingeführt werden.

Dringliche Anfrage an Wirtschaftsminister

Weitere Plenarsitzungen sind am Mittwoch und Donnerstag angesetzt. Für Mittwoch hat Neos-Obfrau Beate Meinl-Reisinger bereits eine dringliche Anfrage an Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) angekündigt. Denn sie sieht im gegenwärtigen Handeln der Regierung einen "wirtschaftspolitischen Irrflug".

Neos-Obfrau Beate Meinl-Reisinger während der Plenarsitzung am Dienstag.
Foto: APA/Roland Schlager

"Die Geschichte der Globalisierung wird neu geschrieben, nur ohne Österreich", sagt Meinl-Reisinger. Es fehle an allen Ecken und Enden an Reformen, speziell am Arbeitsmarkt. Ein degressives Arbeitslosengeld, das mit der Zeit sinkt, eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte und eine drastische Senkung der Lohnnebenkosten fordern die Neos, und das wird Inhalt der dringlichen Anfrage sein.

Nächste Plenarwoche am Ring

Die aktuelle Plenarwoche ist nicht nur die letzte im Jahr 2022, sondern auch die letzte im Parlamentsausweichquartier. Darauf machte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) eingangs aufmerksam. Nach den Sitzungen stehe am Freitag nur noch die Weihnachtsfeier an. Die erste Sitzung im neuen Jahr, geplant ist sie für den 31. Jänner, wird dann im renovierten historischen Gebäude an der Ringstraße stattfinden.

Die offizielle Wiedereröffnung findet rund zwei Wochen davor, am 12. Jänner, als gemeinsamer Festakt von National- und Bundesrat statt. Am 14. und 15. Jänner gibt es für die interessierte Öffentlichkeit außerdem zwei Tage der offenen Tür. Besichtigt werden können Nationalrats-, Bundesrats- und Bundesversammlungssaal, die Amtsräume von Nationalrats- und Bundesratspräsident, die Säulenhalle, das neue Besucherzentrum und die Bibliothek. Zehn Tage später wird Alexander Van der Bellen im historischen Sitzungssaal als Bundespräsident angelobt. (rach, ste, sefe, APA, 13.12.2022)