Einige Störche verzichten bereits auf die lange Reise in ihre afrikanischen Winterquartiere. Manche fliegen nur noch bis Spanien, andere bleiben gänzlich in Österreich.
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Rund zwei Drittel der 230 in Österreich brütenden Vogelarten sind Zugvögel. Je nach Spezies verlassen sie uns früher oder später im Jahr, um den Winter in weniger unwirtlichen Gefilden zu verbringen. Dabei geht es weniger um angenehmere Temperaturen als um ein besseres Nahrungsangebot: Zu dieser Zeit blühen in Mitteleuropa so gut wie keine Pflanzen. Insekten, deren Lebenszyklus nicht mit dem Sommer endet, befinden sich in Winterstarre. Vor allem Vögel, die sich vorwiegend von Insekten ernähren, weichen der Futterknappheit aus, indem sie in den Süden ziehen.

Veränderte Verhaltensmuster

Die Strecken, die die Vögel dabei zurücklegen, sind zu einem großen Teil artspezifisch, können aber je nach geografischer Lage variieren. Grob unterscheidet man Kurz-, Mittel- und Langstreckenzieher. Ein typischer Langstreckenzieher ist der Kuckuck: Er überwintert in Südafrika. Das bedeutet auf dem Hin- und auf dem Rückweg jeweils eine Strecke von rund 10.000 Kilometern.

Der Klimawandel verändert jedoch auch diese jahrtausendealten Verhaltensmuster: Die meisten Vögel fliegen heute später weg als noch vor 40 Jahren und kehren um bis zu drei Wochen früher aus dem Winterquartier zurück, und einige verzichten völlig auf die Wanderung. So wurden in den letzten Jahren immer wieder einzelne Exemplare des Hausrotschwanzes auch im Winter bei uns beobachtet, während das Gros der Tiere im Herbst ans Mittelmeer zieht.

Müllhalde als Futterquelle

Auch die Bachstelze, die den Winter eigentlich in Südeuropa und Nordafrika verbringt, ist zunehmend in der kalten Jahreszeit in Österreich anzutreffen – und nicht nur als Einzelfall: So wurden am Bodensee bis zu 50 Individuen gemeinsam gesichtet. Noch viel größere Ansammlungen bildet der Star, der eigentlich in Südwesteuropa und Nordafrika überwintert: Im Dezember 2017 überwinterten an einem Schlafplatz im Burgenland rund 5000 Vögel. Doch nicht nur unter den Singvögeln gibt es Wander-Muffel.

Immer mehr Störche verzichten auf die lange Reise nach Afrika und zurück: Manche fliegen nur noch bis Spanien, andere bleiben überhaupt bei uns. Die Kälte macht ihnen kaum zu schaffen, aber die Nahrungssuche kann sich durchaus schwierig gestalten. Dann sieht man die großen Vögel oft auf Müllhalden nach Essbarem stochern oder andere menschengemachte Nahrungsgründe nutzen: "Rund 20 Prozent der Bodensee-Population ernährt sich im Winter in verschiedenen Kompostieranlagen in Europa", erklärt Wolfgang Vogl, Leiter der Beringungszentrale der Österreichischen Vogelwarte.

Auch die Graugänse des Neusiedler-See-Gebiets, die ursprünglich den Winter auf dem Balkan und im nördlichen Mittelmeerraum verbrachten, bleiben mittlerweile bei uns – zumindest solange es keinen Schnee gibt und die Wasserflächen nicht zufrieren. Doch auch wenn das der Fall ist, fliegen sie nicht mehr weit weg: Stattdessen ziehen sie in ganz Mitteleuropa umher und suchen auf landwirtschaftlich genutzten Flächen nach Nahrung.

Kreative Fütterung kann Vögel zum Bleiben bewegen.
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Überwintern in Großbritannien

Während die Überwinterung von Störchen und Graugänsen durch menschliche Aktivitäten, aber ohne unser Zutun unterstützt wird, dürfte die aktive Fütterung bei einem viel kleineren Vogel eine neue Zugtendenz ausgelöst haben: Die Mönchsgrasmücke ist einer unser häufigsten, wenn auch nicht unbedingt bekanntesten Brutvögel. Westösterreichische Vögel ziehen ursprünglich nach Südwesten, ostösterreichische nach Südosten.

Vor rund 50 Jahren jedoch haben manche ein neues Überwinterungsgebiet entdeckt, nämlich Großbritannien. Dieses hat nicht nur milde Winter zu bieten, sondern auch eine ganze Menge Vogelliebhaber, die in ihren Gärten eifrig füttern. Dabei beweisen sie oft großen Einfallsreichtum, in dem sie mit Fett getränkte Haferflocken ausstreuen, die die Mönchsgrasmücken auch fressen können – im Unterschied etwa zu Sonnenblumenkernen, die ihnen verschlossen bleiben. Ein kleiner Anteil der österreichischen Mönchsgrasmücken überwintert mittlerweile – gemeinsam mit Artgenossen aus ganz Europa – auf den Britischen Inseln.

Vorteile für Flugmuffel

Allerdings sind nicht alle Vogelarten so anpassungsfähig: Während vor allem Kurzstreckenzieher oft nah genug an ihren Brutgebieten überwintern, um rechtzeitig zum immer früher einsetzenden Frühlingsbeginn heimzukehren, haben Arten, die südlich der Sahara überwintern, diese Möglichkeit nicht. Infolgedessen besteht die Gefahr, dass sie nicht mehr rechtzeitig zum Höhepunkt des Nahrungsangebots in ihren Brutgebieten ankommen und entsprechend weniger Junge aufziehen können. Tatsächlich weisen viele dieser Vogelarten einen Bestandsrückgang auf.

Vögel, die den Winter in den wärmer werdenden Sommer-Arealen verbringen, haben hingegen zahlreiche Vorteile: Nicht nur sparen sie sich die kräfteraubende und zudem gefährliche Wanderung, sie sind auch im Frühling schon in den Brutgebieten und können sich die besten Neststandorte sichern.

Neue Gäste am Futterhaus

Andererseits gibt es Effekte des Klimawandels, die diese Vorteile wieder schmälern können, wie etwa die zunehmende Trockenheit, die die Häufigkeit von vielen Insekten und damit das Nahrungsangebot für zahlreiche Vögel verringert.

Unter diesen Umständen ist die oft stiefmütterlich behandelte Wissenschaftssparte des Monitorings wichtiger denn je, wie Vogl zu bedenken gibt: "Nur auf Basis von durchgehenden Langzeitbeobachtungen können wir beurteilen, was neue Entwicklungen sind und wie sie sich auswirken." Eines zeichnet sich jedoch jetzt schon ab: Zu den gewohnten Gästen am Futterhaus dürften einige neue dazukommen. (Susanne Strnadl, 14.12.2022)