Forschung darf auch Spaß machen: Auf dem Weg zum industriellen Metaverse wird mit Teig und Pfanne experimentiert.
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Die Zubereitung der perfekten Palatschinke ist eine Wissenschaft für sich. Die österreichische Mehlspeise, die in alten Wiener Kochbüchern ursprünglich auch als "Amaletten" oder "Pfannenkuchen" geführt wurde, erfordert das richtige Verhältnis von Mehl, Eiern und Milch. Je nach Rezept kommt auch noch Öl, Butter oder Mineralwasser in den Teig. Wie lange dieser rasten soll, ist ebenso Gegenstand unzähliger Diskussionen wie die Verwendung der richtigen Pfanne und Brattemperatur. Die Krönung der Zubereitung ist das Palatschinkenschupfen, also das mehr oder weniger akrobatische Wenden des Teigs in der Luft.

Zumindest Letzteres könnte künftig virtuell geübt werden. Im Center für Data Driven Design von Fraunhofer Austria in Graz passiert das sogar heute schon. Um die Bewegungsabläufe im Detail zu verstehen und digital abbilden zu können, werden dort im Labor Palatschinken in die Luft geschleudert. Sensoren an Pfannengriff, Handgelenk, Ellbogen und Schulter zeichnen die Bewegungen auf. Mithilfe zusätzlicher Messinstrumente und Videokameras können weitere Daten ausgelesen werden, um daraus die perfekte Technik abzuleiten.

Bewegungsabläufe testen

Dass Fraunhofer in Graz Palatschinken schupfen übt, hat weniger damit zu tun, dass das dort beschäftigte Forschungsteam demnächst an einer Kocholympiade teilnehmen möchte. Vielmehr geht es darum, wie derartige Bewegungsabläufe in virtueller Realität simuliert und trainiert werden können.

"In der industriellen Fertigung ist das ein großes Thema. Mit solchen Programmen kann man üben, wie man Maschinen bedient, eine Batterie sicher zusammenbaut oder Schweißarbeiten optimal durchführt", erklärt Christoph Schinko, Leiter des Bereichs Visual Computing bei Fraunhofer Austria.

Mithilfe von Sensoren werden die Schupfbewegungen gemessen und anschließend visualisiert.
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In Fertigungsstraßen gehe es auch darum, wie ergonomisch die Abläufe für Beschäftigte sind. "Wenn man beim Heben einer Bierkiste einmal nicht in die Knie geht, ist das zwar auch nicht gesund, aber es hat andere Auswirkungen, als wenn man das eine ganze Schicht lang tun muss", sagt Schinko. Richtig eingesetzt, würden solche Programme schon vor dem tatsächlichen Start einer Fertigungslinie dabei helfen, Gesundheitsrisiken bereits bei der Konzeption zu vermeiden.

Virtuelles Training mit Brille und Handschuh

Ein weiterer Aspekt, der in den vergangenen Pandemiejahren von großer Bedeutung war und angesichts der drohenden Klimakatastrophe neue Dringlichkeit erhält, ist die Schulung von Beschäftigten mittels virtueller Trainings. Mithilfe von VR-Brillen kann die Lehreinheit im virtuellen Schulungsraum abgehalten werden. Die ausbildenden Expertinnen und Experten sind als Avatare im Raum verfügbar, können dort Detailfragen beantworten oder auch Abläufe vorzeigen, ohne dass sie dafür klimaschädlich um die halbe Welt fliegen müssen.

Dass das virtuelle Training schon allein haptisch schnell an Grenzen stößt und folglich das Üben mit echten Werkzeugen und Objekten nicht komplett ersetzen kann, liegt auf der Hand. Zwar können auch aus dem Gaming-Bereich bekannte Controller mit Vibrationen und anderen technischen Tricks ein taktiles Feedback erzeugen. Das Gewicht der virtuell in die Luft geschleuderten Palatschinke und ihre Interaktion mit der Pfanne realitätsnah zu simulieren bleibt aber ebenso schwierig, wie die haptische Erfahrung zu kreieren, wenn man als Medizinstudierender mit einem Skalpell in menschliches Gewebe schneidet.

Christoph Schinko, Leiter Visual Computing Fraunhofer Austria.
Foto: Fraunhofer Austria

Abhilfe könnten spezielle Datenhandschuhe schaffen, die mittels Motoren Widerstand simulieren können. Aber auch mit der direkten Stimulation von Nervenbahnen über elektrische Reize wird bereits experimentiert. Abgesehen davon, dass die Forschung diesbezüglich noch in den Kinderschuhen steckt und der hohe Aufwand bei den erwähnten Szenarien vermutlich nicht dafürstehen würde, liegt für Fraunhofer-Experte Schinko die wahre Herausforderung aber ohnehin woanders.

Viele Hürden im Metaverse

Die meisten Unternehmen würden nicht über die Ressourcen und Expertise verfügen, entsprechende digitale Inhalte zu erstellen: "Die Hardware, also verfügbare Sensoren und Headsets, kann relativ einfach konfiguriert werden. Um aber Objekte oder Maschinen realitätsgetreu abbilden zu können, braucht man deren Geometrien und Konstruktionsdaten. Das ist alles noch sehr umständlich", gibt Schinko zu bedenken.

Für eine visuell überzeugende Aufbereitung müssten auch die Animationen und die Beleuchtung stimmen. "Die wenigsten Firmen haben Programmiererinnen und Programmierer im Haus, die sich mit High-End-Games-Engines auskennen. Will ich zudem eine Fertigungshalle mit Maschinen abbilden, werden die Datenmengen für herkömmliche Headsets auch schnell zu groß."

Auf dem Weg zum industriellen Metaverse, in dem jedes reale Objekt durch einen sogenannten digitalen Zwilling in virtuellen Welten vertreten sein könnte, laufe man aktuell Gefahr, dass die Lücke zwischen Forschung und Unternehmen größer oder zumindest nicht kleiner werde.

Um die Möglichkeiten des Metaverse für das eigene Geschäft nutzen zu können, brauche es folglich neue und offene Standards sowie entsprechende Softwarewerkzeuge, die einfach zu bedienen sind, ist Schinko überzeugt: "Es braucht Interoperabilität. Erwerbe ich einen virtuellen Markenturnschuh beim Facebook-Konzern Meta, möchte ich diesen auch in ein anderes Metaverse mitnehmen können."

Mehr als nur Facebook in virtueller Realität

Auf den industriellen Bereich umgelegt treffe dies auf Werkzeuge, aber auch Bauteile und Einzelbestandteile von Produkten zu. Damit einhergehen wiederum diverse ungeklärte Fragen rund um das geistige Eigentum von Herstellern. Der Schweinwerferzulieferer für die Autoindustrie etwa müsste seinerseits die notwendigen Geometrien für das industrielle Metaverse liefern. Doch wie das digitale Abbild aufbereitet und geschützt sein muss, damit es plattformübergreifend verwendet werden kann, steht in den Sternen.

Ob Palatschinken oder Pancake – geschleudert werden sie auf der ganzen Welt, wie etwa bei traditionellen Pfannkuchen-Rennen in Großbritannien.
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"Das Metaverse ist derzeit noch ein schwammiges Konzept, auch die Schnittstellenproblematik ist noch nicht geklärt. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass es deutlich mehr sein wird als ein Facebook in virtueller Realität", sagt Schinko.

Bleibt noch die Frage, was das Fraunhofer-Team bisher aus dem Palatschinken-Projekt gelernt hat. Nachdem die Versuchsreihe gerade erst abgeschlossen wurde, sei man nun mit der Visualisierung der Bewegungsdaten beschäftigt. Schon jetzt lasse sich allerdings sagen, dass es mindestens zwei Typen gebe.

Die beste Schupftechnik

Die einen würde mit einer sparsamen Bewegung aus dem Handgelenk schupfen, also die Palatschinke über den Pfannenrand rutschen lassen. Die anderen würden weiter ausholen. Auf Basis dieser zwei grundsätzlichen Herangehensweisen könnte man schließlich den Bewegungsablauf gezielt trainieren oder ein Umlernen forcieren, sollte sich eine der beiden Varianten als effizienter erweisen.

"Das alles mag beim Palatschinkenwenden nicht allzu sinnvoll erscheinen, für andere Bewegungsabläufe im Sport, in der Medizin oder bei Fertigungen, die man den ganzen Tag durchführt und die viel Kraft erfordern, sind solche Überlegungen aber essenziell", erklärt Schinko.

Und was, wenn man doch das Schupfen üben will? "Welche Variante besser ist, haben die Experimente bisher noch nicht gezeigt. Mein Tipp für Anfänger ist aber, eher mit der Schupfbewegung aus dem Arm herauszugehen. Sollte die Palatschinke zu hoch fliegen oder sich mehrmals drehen, ist das kein Problem – das Auffangen gelingt fast immer." (Martin Stepanek, 14.12.2022)