Der Spin der Rechten aller Schattierungen – von nationalkonservativ bis rechtsextrem – lautet: Irgendwer – "die Linken", die "Gutmenschen" – will unbedingt Scharen analphabetischer junger Männer aus frauenfeindlichen und gewaltaffinen Kulturen zu uns bringen.

Das ist natürlich bösartiger Unsinn. Niemand will das. Aber liberale Menschen, die sowohl rational als auch humanitär denken, wollen eine Migrationspolitik, die effektiv und angemessen human ist. Und nicht populistisches Getöse, das zugleich wirkungslos, ja kontraproduktiv und menschenfeindlich ist.

Es besteht ein klares Interesse in Europa, nicht endlos und unkontrolliert unausgebildete junge Männer aus dem Vorderen Orient und Afrika aufzunehmen, weil es für diese Art der Zuwanderer in einer hochentwickelten Wirtschaft kaum eine Perspektive gibt. Gleichzeitig muss Europa ein Hafen sein, für echte Kriegs- und Diktaturflüchtlinge.

Ein Zaun entlang der EU-Außengrenze?
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Europa tut sich unendlich schwer, das auf die Reihe zu bekommen. Wobei die neueste, von Österreichs Kanzlerpartei vorgetragene Idee ist, an den Außengrenzen der EU befestigte Zäune zu errichten. Dazu ein Blick auf die Karte, die am 15. Dezember auf derStandard.at erschienen ist:

An den Außengrenzen der EU im Osten gibt es zwar etliche Zäune, was aber den Zustrom nicht gehindert hat. An der Grenze Griechenlands und Bulgariens zur europäischen Türkei gibt es Zäune, der bulgarische ist angeblich zu schwach. Nehammer will ihn mit EU-Geld verstärken. An der EU-Außengrenze Nordmazedoniens (nicht EU) zu Griechenland gibt es einen Zaun. Wer aus Griechenland aber weiter nach Norden will, kann über die griechisch-albanische (EU-Außengrenze) oder die griechisch-bulgarische Grenze (EU-Binnengrenze).

Ziemlich viele Zäune

Von Bulgarien ginge es nach Rumänien (EU), von dort wiederum nach Ungarn (EU). Wie viele das tatsächlich nutzen, ist umstritten. Wenn Kanzler Karl Nehammer von zu errichtenden Zäunen an der EU-Außengrenze spricht, dann müsste er auch die Grenze Bulgarien/ Serbien und Bulgarien/Nordmazedonien oder Rumänien/Serbien einbeziehen. Ziemlich viele Zäune – und halten die auch?

Denn der "Hauptübertretungspunkt für illegale Migration" nach Österreich ist die serbisch-ungarische Grenze. Zumindest laut Gerhard Tatzgern, dem Chef der Schlepperbekämpfung im Bundeskriminalamt. Aber dort ist doch eine EU-Außengrenze mit Zaun? Viktor Orbáns Quasidiktatur hat zwar im Süden einen Zaun zu Serbien (nicht EU) und Kroatien (EU) gebaut, es kommen aber trotzdem Tausende, Zehntausende über Ungarn nach Österreich. Das hat auch etwas damit zu tun, dass Serbiens autoritärer Herrscher Aleksandar Vučić Bürger von Ländern, die seine Politik gegen die einstige Provinz Kosovo unterstützen, ohne Visum einreisen lässt. Von dort gehen diese Inder und Marokkaner über die EU-Außengrenze nach Ungarn. Trotz Zaun. Und Ungarn winkt sie zu uns durch.

Soll heißen: Zäune an EU-Außengrenzen sind in der Realität von begrenzter Wirkung (ganz abgesehen davon, dass die Routen über das Mittelmeer nach Spanien und Italien nicht abzuzäunen sind). Die größte EU-Außengrenze im Osten ist die in der Ägäis zwischen der Türkei und Griechenland. Und ob es etwas hilft, das "Tabu mit den Zäunen zu brechen" (Nehammer), wenn man von "Partnern" wie Orbán und Vučić abhängig ist (sich abhängig macht)?

Das soll nicht heißen, dass man gar nichts machen soll, aber, sorry, Zäune sind eher nicht die Patentlösung. (Hans Rauscher, 16.12.2022)