Die banal klingende Frage der Zeit und die Überschrift zur Sinnsuche: Leben wir, um zu arbeiten, oder arbeiten wir, um zu leben? Wenn wir das bloß nicht mehr fragen müssten.
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Veränderungen beginnen oft mit einem Nein, mit der Ablehnung des Gegenwärtigen. Rund um den Globus sagen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: So nicht mehr! Sie kündigen (Great Resignation), heuern erst gar nicht an (Lying Flat) oder arbeiten nur so viel, wie gerade nötig ist (Quiet Quitting). Das führt rundum zu großen Veränderungen, Fachkräftemangel, Reduzierung der Dienstleistungen, zu Sperren und zu neuen Arbeitsbedingungen wie etwa immer mehr Unternehmen, die Vier-Tage-Wochen ausprobieren. Mit Arbeitsorganisation und Arbeitsorten (Homeoffice) wurde und wird schon einiges neu gemacht. Ob die jungen Generationen dann wieder glauben, dass sich die alte "harte Arbeit" auszahlt?

Vielleicht müssen sie das gar nicht, schlägt Zukunftsforscher Matthias Horx in seinem alljährlichen, für 2023 eben erschienenen Zukunftsreport als Denkvariante vor: "Was würde sich also ändern, wenn wir nicht nur Lohnarbeit als Arbeit verstehen würden, sondern ebenso alle anderen Tätigkeiten, die einen gesellschaftlichen Mehrwert bieten, etwa die Pflege von Angehörigen, die Unterstützung eines Vereins oder das unvergütete Engagement in der Lokalpolitik?", fragt Horx. Das tut er vor dem Hintergrund einer diagnostizierten Sinnkrise in der Arbeitswelt, der er im Wesentlichen auch die Phänomene des stillen Nein zuordnet. Ebenso das derzeit gern beschriebene Phänomen des "Burn-on", also des Zustands der permanenten Überforderung, der immer weiter geführten perfektionistischen Erledigung der Erwerbsarbeit mit vorgegebenem Lächeln – immer hart an der Grenze zum tatsächlichen Zusammenbruch. Bestens gelaunt dauererschöpft im Überstundenmodus.

Wer sich engagiert, fühle den Sinn

Horx schlägt nach Aufweichung der Arbeitsorte durch Remote Work nun eine der Arbeitszeit vor. Wer Sinn fühlt, engagiert sich gerne, so Autorin Judith Block, und sie lobt die Erweiterung des Arbeitsbegriffs auf Tätigkeiten für das Gemeinwohl, was wiederum Unternehmen, der Gesellschaft, der gemeinsamen Zukunft diene. "Wir könnten Arbeit an der Wertschätzung bemessen, die sie erntet", und könnten auf das Outsourcing von Alltagstätigkeiten verzichten. Anstelle der Great Resignation träte Great Motivation, "angetrieben vom Sinngehalt der insgesamt geleisteten Arbeit".

Ein frommer Appell? "Die alte, industrielle Arbeitsordnung zerbricht", postuliert Horx und prophezeit einen neuen "war for talents". Denn die neue bestimmende Logik heiße Arbeitskräftemangel. Die Machtverhältnisse kehren sich gerade um – das sogenannte Humankapital gewinnt gegen das Geldkapital. Die Pandemie habe "die Korken" aus der Flasche der neuen Arbeitswelt gezogen, meint Horx, nachdem zunächst neben vielen neuen Möglichkeiten in kreativen Milieus eine große Schicht an Billiglohndienstleistern entstanden ist. Nachdem sich Firmen immer wieder in Hierarchien und Bürokratien zurückverwandelten und das Schlagwort New Work fast nur mehr als Karikatur für Start-ups mit Wuzeltischen diente.

Dominierende Wirtschaft stemmt sich gegen New Work

Nach solcher Stagnation oder sogar Regression folgten zwei Jahre Pandemie, und schließlich wurde zu Jahresbeginn das neue Selbstbewusstsein der Arbeitenden rundum sichtbar. Ein "gigantischer Schub für die nächsten Schritte", ist der Zukunftsforscher überzeugt. Auch wenn sich mächtige Teile der dominierenden Wirtschaft – Elon Musk ist ein Beispiel – mit Präsenzpflicht und Arbeitsdisziplin à la Industriezeitalter dagegenstemmen. Kein Zweifel, wen Horx obsiegen sieht. Kipppunkte seien erreicht.

Dieser Zukunftsreport liefert optimistische Denkszenarien und will lehren, in Gestaltungschancen zu denken. Gleiches tut Sohn Tristan Horx in seinem aktuellen Buch Sinnmaximierung. Anders nur insofern, als er uns sagt: "Wir Jungen weisen euch den Weg." In der Arbeitswelt von morgen, postuliert Horx junior, werde Sinn gegen Zwang gewinnen. Anwesenheit werde in der künftigen Arbeitswelt nicht mehr mit Produktivität gleichgesetzt, und statt Work-Life-Balance werde es ein Work-Life-Blending geben. Dort verschmilzt, was wir gerne tun. Die alte Einteilung der Arbeit als Strafe Gottes und der Freizeit als der bessere Teil des Lebens werde obsolet.

Wer glaube, Purpose, also Sinnsuche, sei auf eine dünne Schicht besonders Hochqualifizierter zugeschnitten, irre, sagt Horx junior, ausgebildeter Kultur- und Sozialanthropologe. Es würde ziemlich stinken und rundum schrecklich aussehen, gäbe es nicht eine Vielzahl von Menschen mit körperlich fordernden Berufen, die ihre Berufung, ihren Sinn gefunden haben – nämlich in der Gewissheit, ihr Umfeld durch ihr Werk zu verbessern. Dringend nötig sei allerdings so oder so eine bessere Bezahlung. (Karin Bauer, 19.12.2022)