Über St. Pöltens Regierungsviertel geht die Sonne auf in der Signation von "Niederösterreich heute".

Foto: Screenshot ORF-TVthek

St. Pölten / Wien – Berichten von STANDARD, SPIEGEL und "Presse" über das System ÖVP-freundlicher Berichterstattung im ORF-Landesstudio Niederösterreich folgten umgehend Rücktrittsaufforderungen: Die SPÖ Niederösterreich sieht Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) rücktrittsreif; FPÖ und Grüne forderten Robert Zieglers sofortigen Rückzug als ORF-Landesdirektor.

Dem STANDARD vorliegende Unterlagen aus dem Landesstudio, Chats und Mails zeigen – wenige Wochen vor der Landtagswahl – das Sittenbild eines ORF-Regionalbüros, das eng mit der das Land seit Jahrzehnten dominierenden ÖVP verzahnt ist.

Ziegler, seit Anfang 2022 ORF-Landesdirektor in Niederösterreich, sprach gegenüber dem STANDARD von "diffusen und zum Teil absurden Vorwürfen". Als Chefredakteur von 2015 bis 2021 hat Ziegler laut den Unterlagen etwa einen relativ nichtssagenden O-Ton der Landeshauptfrau in einen schon fertig abgenommenen "ZiB"-Beitrag reklamiert, bei Wochensitzungen Termine von Landesregierungsmitgliedern fast automatisch und teils unabhängig von Themen besetzt sowie im Vorhinein festgelegt, wer mit O-Tönen, teils in welcher Reihenfolge, vorzukommen habe – und wer nicht aktiv anzufragen sei (in einem dokumentierten Fall ist das etwa die SPÖ).

Laut Redaktionsstatut des ORF haben Journalistinnen und Journalisten ihre Beiträge in journalistischer Unabhängigkeit und Eigenverantwortung zu erstellen. Ziegler wies die Vorwürfe zurück, in einzelnen Punkten erklärte er, er könne sich nicht an solche Vorfälle erinnern.

SPÖ fordert Rücktritt Mikl-Leitners

Der Landesvorsitzende der SPÖ und Landeshauptfraustellvertreter Franz Schnabl fordert den Rücktritt von Johanna Mikl-Leitner als Landeschefin – "aus demokratiepolitischer Verantwortung und im Sinne der Pressefreiheit".

Mit den "bekanntgewordenen Interventionen beim ORF NÖ" habe die ÖVP Niederösterreich "eine schwarze Linie überschritten". Dies zeige "ein zutiefst gestörtes Demokratieverständnis und ein korrumpiertes System, das sofort geändert werden" müsse. Er spricht in einer Aussendung von "schamlosem Intervenieren".

FPÖ verlangt Rücktritt Zieglers und Ende des Anhörungsrechts im ORF-Gesetz

Für FPÖ-Landesparteichef Udo Landbauer bestätigt der STANDARD-Bericht sein Bild des Landesstudios: "Der ORF-Niederösterreich ist Mikl-Leitners Privatfernsehen." Er zeigt sich "erschüttert über die unverhohlene Parteinahme" Zieglers: "Dieser Medienskandal zeigt einmal mehr, dass sich das System ÖVP wie ein schwarzer Faden durch alle Instanzen zieht", so Landbauer.

Nun sei klar, warum andere Parteien im niederösterreichischen ORF totgeschwiegen würden, erklärte Landbauer per Aussendung: "Mein Presseteam nimmt die permanente Weigerung des ORF, über freiheitliche Themen zu berichten, mit Humor und wettet bereits intern darauf, welche absurde Begründung das nächste Mal – 'Leider keine Kamera verfügbar' – sein wird."

Landbauer fordert den sofortigen Rücktritt Zieglers als Landesdirektor. Aus dem ORF-Gesetz soll das Recht der Länder auf Stellungnahme zum Vorschlag des ORF-Generals vor der Bestellung des jeweiligen Landesdirektors gestrichen werden.

Grüne fordern sofortigen Rücktritt des ORF-Landesdirektors

Die grüne Landessprecherin Helga Krismer fordert in einer Reaktion auf die Veröffentlichungen über Zieglers Tätigkeit als Chefredakteur den sofortigen Rücktritt Zieglers als Landesdirektor. Der ORF-Stiftungsrat müsse eine Untersuchung einleiten.

Krismer in einer Aussendung: "Wenn die heute veröffentlichten Mails der Wahrheit entsprechen, steht es leider für das Sittenbild der ÖVP und ihre Vereinnahmung von Institutionen. Dabei wird auch nicht vor dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk haltgemacht." Und: "Bei eindeutigem Wahrheitsgehalt hat Landesdirektor Robert Ziegler zum Schutz des ORF NÖ per sofort seinen Rücktritt zu vermelden, und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hat sich zu erklären, da sie sich stets für Robert Ziegler starkmachte."

Die Krise müsse als Chance verstanden werden, "die Unabhängigkeit der Redakteurinnen und Redakteure zu stärken".

Neos fordern "lückenlose Aufklärung"

Neos-Landessprecherin Indra Collini forderte in einer Aussendung: "Die Volkspartei muss endlich in den eigenen Reihen aufräumen, für Transparenz und saubere Politik sorgen." Collini: "Es ist widerwärtig, wie dieses korrupte System alles mit sich in den schwarzen Abgrund reißt." Leidtragende seien die Redakteurinnen und Redakteure des ORF.

Die Causa müsse lückenlos aufgeklärt werden. Erst danach könne man über Konsequenzen im ORF sprechen.

ORF: "Starke Instrumentarien, die Unabhängigkeit sichern"

"Der ORF hat starke Instrumentarien, die die Unabhängigkeit der Berichterstattung und seiner Redakteurinnen und Redakteure absichern", ließ der ORF nach Veröffentlichung der Vorfälle und Vorwürfe verlauten: "Diese wurden heuer durch das von Generaldirektor Weißmann mit dem Redaktionsrat neu verhandelte neue Redaktionsstatut weiter verbessert."

Die Vorwürfe würden nun untersucht. Aber: "Es liegen ORF-intern keinerlei Beschwerden gegen den damaligen Chefredakteur Robert Ziegler vor, auch die angeblichen Belege, auf die sich die heutigen Presseberichte stützen, sind dem ORF nicht bekannt."

Redaktionssprecher gegen pauschale Vorverurteilung

Im Zusammenhang mit den Vorwürfen rund um die Berichterstattung im ORF-Landesstudio und gegen Ziegler haben sich die Redaktionssprecherinnen und -sprecher des Landesstudios für eine Untersuchung der Anschuldigungen ausgesprochen. Gleichzeitig wehrten sie sich am Samstag per Aussendung gegen "eine pauschale Vorverurteilung der gesamten Redaktion des ORF Niederösterreich".

Nach einer Sitzung der Redaktionssprecherinnen und -sprecher des Landesstudios am Samstagvormittag betonten diese: "Die Unabhängigkeit der Journalistinnen und Journalisten des ORF ist nicht nur ein hohes Gut, sie ist im ORF-Gesetz auch unmissverständlich verankert." Die Redakteurinnen und Redakteure des Landesstudios würden ihr Bestes tun, um schnell, umfassend und objektiv zu berichten. (red, 17.12.2022)