Viel Vorhangeinsatz für eine Komödie voller Schein: "Wie es euch gefällt" am Burgtheater.

Foto: Matthias Horn

Wie viel Shakespeare steckt in einer Shakespeare -Inszenierung 2022? Die Frage allein insinuiert, es könne sich dabei um "nicht mehr sehr viel" handeln. Schon bei Thorleifur Örn Arnarssons Sturm-Interpretation im Frühling am Burgtheater zogen Versliebhaberinnen und Originaltonimaginatoren ins Feld, um den Elisabethaner vor neuen Auslegungsversuchen in Schutz zu nehmen. Und das könnte angesichts von Wie es euch gefällt ebenfalls passieren. Die Komödie, vermutlich 1599 entstanden, feierte am Samstag im Haus am Ring Premiere.

Die Inszenierung von Tina Lanik wird über drei Stunden lang – ähnlich wie Arnarssons Sturm – musikalisch getragen. Dabei kommt eine eigene Fassung der zehn Jahre alten, straffen Übersetzung von Jürgen Gosch und Angela Schanelec über die Rampe. Und dabei machen wiederum die elegischen Lieder des österreichischen Rising Stars Oskar Haag (17) der Melancholie unglücklicher Verliebtheit Platz. Im lila farbigen Rüschenkleid zieht dieser junge Mann mit Gitarre und hinreißender Stimme wie ein Liebesengel durch die Szenen.

Oskar Haag als Melancholie-Lieferant in "Wie es euch gefällt" am Burgtheater.
Foto: Matthias Horn

Zu hören ist auch Stargazing, jene Nummer, die Haag, Sohn von Naked-Lunch-Sänger Oliver Welter, 2021 bekannt gemacht hat. Im Mai soll sein erstes Album erscheinen.

Auf Konventionen pfeifen

Zwischenapplaus hat sich das Premierenpublikum zwar verkniffen, gebannt hat der sichtlich bühnenerfahrene Musiker aber alle, und es stellte für die Schauspieler keine unerhebliche Hürde dar, nach so gefühlvollem Gesang wieder die Sprechrollen voranzutreiben. Man könnte also sagen, Laniks Wie es euch gefällt besteht aus 30 Prozent Oskar-Haag-Konzert, 51 Prozent Shakespeare-Übersetzung, zehn Prozent Endlosvorhang – und der Rest ist pink.

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Angesichts eines ganz in Rosarot, Fuchsia und Violett gehaltenen Kostümbilds von Aino Laberenz darf man dem Abend die Message "Think pink!" unterstellen, also alles ein wenig lockerer zu sehen und auf Konventionen zu pfeifen. Zum Beispiel nicht gleich auszurasten, wenn ein Mann ein Kleid trägt. Zumal es sich dabei ja um treuestes elisabethanisches Gebaren handelt.

Hipster-Herzog

In Shakespeares Verwechslungskomödie findet neben anderen Täuschungsmanövern das zentrale Liebespaar Rosalinde (Nina Siewert) und Orlando (Christoph Luser) erst durch Geschlechterverkleidung zueinander: Erstere staffiert sich als Mann aus und leistet undercover Coachingarbeit für den in die Wälder von Arden verbannten angebeteten Orlando. Ein Spiel im Spiel also, für das Stefan Hageneier eine Bühne innerhalb der Bühne konstruiert hat, auf der unendlich lange Vorhangbahnen im Oval flugs auf- und zugezogen oder einfach im Kreis weitergezogen und je nach Bedarf und Gefühl umklammert oder sich als Teil des Kostüms geschnappt werden. Toll!

Lanik unterstreicht die Magie der Komödie und feiert nicht nur mit dieser intensiven und reizvollen Vorhangperformance den schönen Schein, sondern platziert auch gleich ein prächtiges Einhorn in den Ardenner Wald, wo, glaubt man dem dort verbannten Fürsten (Martin Reinke), ein herrschaftsfreies Leben gedeiht. Reinke streift als Hipster-Herzog herum und spielt in einer Doppelrolle auch den Usurpator selbst (sowie drittens einen Schäfer), der daheim im Zaubermantel mit seinen Walking-Sticks aggressiv in die Luft stochert und blindwütig Leute verbannt.

Temperamentvoll

Die Inszenierung schält einige temperamentvolle Charaktere heraus, darunter zwei vielversprechende Neuzugänge im Ensemble: Tilman Tuppy als liebesramponierter Schäfer Silvius sowie der stimmstarke Ringer von Lukas Vogelsang – einem Schauspieler, der wie selten einer über ein Ringtheater-adäquates Stimmvolumen verfügt.

Nina Siewert verbirgt ihr inneres Emotionschaos unter panzerhafter Motorradbekleidung, ähnlich Sabine Haupt als ihre Begleiterin Celia, während Christoph Luser mit seiner Orlando-Rolle weitgehend fremdelt. Andrea Wenzl schöpft ihren Narren aus ihrer kreatürlichen Drahtigkeit und schummelt gekonnt Nestroy-Töne hinein. Zwecks Abfederung der originalen Geschlechterschieflage wurde aus Oliver eine Olivia (Alexandra Henkel) und aus Jaques eine Madame Jaques (Charlotte Schwab als Gast).

Laniks Konzept überzeugt. Shakespeares faszinierende Komödienwelt auf musikalische Beine zu stellen – es geht auf. Oskar Haag, der hier als Integrationsfigur für ein jüngeres und popaffines Publikum fungiert, wird gänzlich zu einem Abgesandten aus dem Shakespeare-Universum (er verkörpert auch einen Edelmann). Die Dramen lassen das zu, nicht zuletzt deshalb erweist sich der Mann aus Stratford auf den Bühnen als so derart beliebt und bis heute inspirierend. (Margarete Affenzeller, 19.12.2022)