"Ich war immer schon ein narrisches Kind. Ich habe mich gerne bewegt und hatte ein Gefühl für Rhythmus und Musik. Meine Mutter hat beschlossen, ich müsse in einen Boogie-Woogie-Kindertanzkurs. Da war ich sieben. Der Kurs hat mir irrsinnig getaugt. Von diesem Moment an hat alles seinen Lauf genommen.

Es gab schon eine Zeit, in der meine Eltern Bammel hatten, dass ich in einem brotlosen Beruf ende. Sie selbst waren ihr Leben lang im selben Bereich tätig – meine Mutter als Hebamme, mein Vater als Techniker. Heutzutage ist so etwas selten. Auch ich wusste nicht immer, was ich will. Das Tanzen war eine Konstante. Es hat mich immer begleitet. Schlussendlich ist es entgegen der Sorge meiner Eltern gutgegangen, ich habe Erfolg damit. Natürlich hat das etwas mit Glück zu tun. Man ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort und lernt die richtigen Leute kennen. Das nur aus eigener Kraft zu schaffen ist schwierig.

Tanzen aus Leidenschaft

Wenn ich in der Früh den Wecker höre und aufstehe, fühlt es sich nicht so an, als müsse ich in die Arbeit. Das war schon immer so. Man unterrichtet, man tanzt eine Show auf einem Ball, eine Mitternachtseinlage und verdient dabei Geld. Gleichzeitig macht man etwas, das einem Freude bereitet. So etwas zu finden ist eines der schwierigsten Dinge im Leben. Ich gehe auch privat noch gerne tanzen. Dann geb ich's mir mit Freundinnen und Freunden auf irgendeiner Discofläche. So lange, bis wir schweißgebadet sind. Nicht um anzugeben. Aber das, was man kann, macht man auch gerne.

Mein Lieblingstanz? Der ist von meiner Tagesverfassung abhängig. Wenn ich müde bin, tanze ich einen langsamen Walzer. Wenn ich voller Energie aufstehe, lege ich lieber einen flotten Cha-Cha-Cha aufs Parkett. Es kommt auch darauf an, mit wem ich tanze. Mit meiner Mutter macht mir ein Wiener Walzer mehr Spaß als eine feurige Samba.

Andrei Valentin Chitu ist mehrfacher österreichischer Meister in der Kategorie lateinamerikanische Tänze und führt die Tanzschule Stanek.
Foto: Judith Steinkellner

Der Walzer ist watscheneinfach. Sechs Schritte nach rechts und sechs Schritte nach links. Trotzdem löst der Tanz im Menschen etwas aus, er macht glücklich. Dennoch ist Paartanz nicht für jeden geeignet. Wenn man als glückliches Ehepaar eine Tanzstunde besucht, und in den ersten zehn Minuten funktioniert's nicht, dann sollte man überlegen, ob man nicht lieber Golf spielt. Das sage ich ehrlich zu jedem Paar. Nur der Allgemeinbildung oder der Etikette wegen einen Tanzkurs zu besuchen, das finde ich falsch.

Führung abgeben

Wenn ich jetzt sage, Sie sollen sich ein Tanzpaar vorstellen: Wahrscheinlich würden Sie nie an zwei Männer oder zwei Frauen denken, die miteinander tanzen. Es gibt auch den alten Tanzlehrerspruch: 'Er führt beim Tanzen. Sie hat sich führen zu lassen.' Diese klischeehaften und alten Rollenbilder lösen sich Gott sei Dank. Zwei Kollegen von mir haben ein Konzept vorgestellt, das sie Liquid Leading nennen, flüssiges Führen. Im Endeffekt geht's darum, dass die Führung von einem auf den anderen übergeht. Ich finde das toll. Immer mehr Männer und Frauen trauen sich, die eigene Rolle zu verlassen. Das ist etwas, das sich sehr verändert hat.

Natürlich ist es angenehm, geführt zu werden. Man fühlt sich sicher, muss nicht darüber nachdenken, ob man nach links oder rechts, vorwärts oder rückwärts tanzt. Aber genauso kann es toll sein, den Ton anzugeben. Und das hat nichts damit zu tun, dass einer den anderen unterdrückt oder dominiert.

Die tänzerische Sau rauslassen

Ich freue mich irrsinnig auf die Ballsaison. Ich glaube, die Leute sehnen sich schon danach, wieder ausgelassen über die Tanzflächen in der Hofburg zu fetzen, mit einem Walzer und einem Galopp. Einfach mal wieder die tänzerische Sau rauszulassen.

Es gibt immer auch Leute, die sagen, die Tanztradition sei verstaubt. Warum soll ich einen Frack anziehen und eine Fliege umbinden? Warum kann ich nicht mit Badehose auf einen Ball? Ich bin mittlerweile wie meine Eltern, die der Meinung sind, früher war alles besser. Vielleicht nicht alles. Aber die alte Balltradition ist einfach etwas Schönes. Wir sollten sie nicht über Bord werfen. Aber die Gesellschaft ändert sich, die Menschen ändern sich, und das merken wir auch. Nur eines wird sich nie ändern: Der Wiener Walzer wird immer im Dreivierteltakt bleiben. Ansonsten dreht sich Strauss im Grabe um." (Judith Steinkellner, 7.1.2023)