Jelineks Verortung der eigenen Familiengeschichte im staatlichen Kontext: "Angabe der Person" am Deutschen Theater in Berlin (im Bild: Susanne Wolff).

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Es gibt auch gute Nachrichten im Theater. Jossi Wieler hat nach Jahren wieder einen Text von Elfriede Jelinek inszeniert. Wolken.Heim. 1993 am Hamburger Schauspielhaus oder Rechnitz (Der Würgeengel) 2008 an den Münchner Kammerspielen sind Meilensteine neuerer Theatergeschichte. Die Uraufführung von Jelineks Angabe der Person im Deutschen Theater Berlin hat alle Qualitäten, diese Reihe fortzusetzen.

Wieler hört lange und mit Sorgfalt in Texte hinein, bevor er Unerhörtes aus ihnen herausmodelliert. Er braucht dazu Schauspielerinnen und Schauspieler, die besten, ohne Ansehen bzw. Angabe der Person. In Berlin sind es drei Protagonistinnen, Linn Reusse, Fritzi Haberlandt und Susanne Wolff, die zwischen Stimme und Gegenstimmen changieren, das Grauen clownesk auf die Spitze treiben, um ihm selbiges zu nehmen.

Überschießende Ermittlungen

Ihr Äußeres zitiert Merkmale und Couture-Vorlieben der Autorin: eine leichte Henna-Tönung im offenen Haar, unterm Oberteil eine weiße Bluse. Die Entwürfe von Anja Rabes gehen übers bloße Kostüm hinaus. Outfit ist hier so etwas wie die Maske im antiken Theater, hinter der das Sprechen erst frei wird vom Zufall der Individualität. Das erlaubt es, Jelineks durchgehende Textpartitur in drei Solosätze und ein furioses Terzett als Finale zu gliedern.

Am Rand dieser kleinen Welt rotiert ein Satellit, der ein Fixstern war. Hinter viel analoger wie digitaler Technik verborgen, kommentiert Bernd Moss das Geschehen in sparsamen Gesten und Einwürfen. Es wird klar, dass hier eine feinsinnige Hommage an den Komponisten und Informatiker Gottfried Hüngsberg entsteht, Elfriede Jelineks im September verstorbenen Ehemann.

Worum geht’s? Die Steuerbehörden des Freistaats Bayern haben sechs Jahre lang gegen Elfriede Jelinek ermittelt. Sie zahlte Steuern in Österreich, der Freistaat forderte, was Doppelbesteuerungsabkommen eigentlich verhindern sollen, doppelte Steuern. Wo sie doch mit Österreich auf Kriegsfuß steht und ihr Mann in München arbeitet, könne sie dort gar nicht dauerhaft leben. Und, wie kann eine kein Schwarzgeld haben, wenn sie doch in der Zeitung steht? In einer Stadt, in der Wurstfabrikanten und Fußballer öffentliche Leitfiguren sind, führt das schon zu überschießenden Ermittlungen.

Tätergesellschaften

In Angabe der Person geht es nicht nur um Steuern. Es geht um den deutschen Staat und das Deutsche am Staat, die Kontinuität von Nazi-Eliten. Jelineks Kunst der Polemik beißt sich an den von Schirachs fest, Fritzi Haberlandt jongliert darin die Worte in virtuoser Sprachclownerie. Es geht um die Wut, dass alle gleich, manche aber gleicher sind. Susanne Wolffs Part transformiert ebendiese Wut in der strengen Form ihres Spiels. Gleichwohl ist Angabe der Person alles andere als eine persönliche Abrechnung. Jelinek verwandelt individuelle Erfahrung zur Frage nach dem Subjekt: Es ist das der Macht unterworfene und zugleich das einzige, das für sich selbst sprechen kann.

So spricht Jelinek erstmals über ihre jüdische Familiengeschichte, über die genera tionenübergreifende Erfahrung von Verfolgung, Beraubung, das Ausgeliefertsein einer Mehrheitsgesellschaft gegenüber. Angabe der Person ist nicht weniger als die Aufkündigung des Konsenses, die Absage an eine harmonisierende Erinnerungskultur, die zu Gedenktagen von den Jüdinnen und Juden nur hören will, dass die Tätergesellschaften in ihren Bewährungsauflagen Fortschritte gemacht haben. Aber die Verluste bleiben. Das Ende der Geschichte findet nicht statt. Die des Theaters geht ohnehin weiter. (Uwe Mattheiß aus Berlin, 20.12.2022)