Wien – Es rumort nach wie vor bei der Wiener Nachhilfeplattform Go Student. Wie kürzlich bekannt wurde, baut das einst so gefeierte Start-up zum zweiten Mal in diesem Jahr mehrere Hundert Stellen ab, DER STANDARD hat berichtet. Insider sprechen von insgesamt 650 Jobs, die gestrichen werden sollen, Go Student selbst äußert zwar "Bedauern" über den Cut kurz vor Weihnachten, nennt aber keine konkreten Zahlen. Begründet wird die Massenkündigung mit dem aktuell schlechten wirtschaftlichen Umfeld.

Der Gewerkschaft GPA zufolge sollen in Österreich mehr als 200 von 490 Beschäftigten freigestellt worden sein. Man sei derzeit vermehrt mit Beratungsfällen wegen Kündigungen konfrontiert und rate, keine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses ungeprüft zu unterschreiben, meint die GPA-Vorsitzende Barbara Teiber.

"Ich habe die einvernehmliche Kündigung unterschrieben, das Angebot war in Ordnung", sagt Anna Kerbinger, die eigentlich anders heißt, aber ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Das "faire Angebot" sei aber sowohl bei ihr als auch bei vielen anderen, von denen sie wisse, nicht der einzige Beweggrund zum Akzeptieren der Einvernehmlichen gewesen. "Wir wollten keinen Prozess oder Ähnliches gegen diese Firma starten, wir haben Angst vor den Folgen." Dieses Unternehmen sei zu so vielem in der Lage, und man wolle sich keinen künftigen Karriereweg verbauen.

Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Go Student wurden unerwartet in Onlinemeetings freigestellt.
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Kundenservice auslagern

Wie geht es weiter bei Go Student? Zahlreiche Standorte auf der ganzen Welt werden zugesperrt, für das Geschäft relevante Abteilungen sollen ausgelagert werden, wie etwa die sogenannte Customer Success. Das ist eine Mischung aus Kundenservice und Kundenmanagement.

In Kooperation mit dem Personaldienstleister soll Customer Success fortan mit Leiharbeitskräften von der Türkei aus betrieben werden, erzählt Kerbinger, die in der Abteilung gearbeitet hat. Jeder hätte um die 350 Bestandskunden betreut. Dass diese Abteilung ausgelagert funktionieren kann, bezweifelt sie. Fragen dazu beantwortete Go Student nicht. Auch Trenkwalder äußert sich nicht, man sei Dienstleister und könne deswegen keine Auskünfte geben.

Frage der Bewertung

In der Start-up-Welt laufen die Dinge im Vergleich zu vielen anderen Branchen etwas anders. Schnelles Wachstum, die vielzitierte Skalierung, gibt die Richtung vor. Bei Investorinnen und Investoren sitzt dafür das Geld lockerer als anderswo, und ob ein Geschäft in den Anfängen rentabel ist, hat oftmals Nachrang. Vor allem bei Unternehmen mit hohen Marketingausgaben, die viel Geld verheizen.

Während der langen Phase des billigen Geldes jagte ein Investmentrekord den anderen, doch mit Krieg, Inflation, Energiekrise etc. haben sich die Zeiten geändert. Plötzlich messen Kapitalgeber Profitabilität mehr Bedeutung bei als Wachstum. Das zwingt viele Start-ups zu drastischen Umstrukturierungen. Ein Großinvestor von Go Student soll das Wiener Start-up seit Sommer "nur" noch mit 1,7 Milliarden Euro bewerten. Anfang Jänner stand der Wert noch bei drei Milliarden. Go Student streitet das ab. "Von dieser Neubewertung des Investors ist uns nichts bekannt, sie würde auch nicht mit den uns vorliegenden Zahlen übereinstimmen", sagt eine Sprecherin.

"Wachstum um jeden Preis" galt lange als Prämisse bei Go Student, nun müssen die Gründer Gregor Müller (li.) und Felix Ohswald die Richtung ändern.
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Übernahme von Studienkreis

Für die Belegschaft kommt die Freistellung zu einem "fragwürdigen" Zeitpunkt. Anfang Dezember verkündete Go Student, Studienkreis aus Deutschland übernommen zu haben, einen Konkurrenten mit mehr als 1.000 Mitarbeitern. Zur Übernahmesumme wird geschwiegen, das ist bei solchen Geschäften so üblich, der Preis könnte sich Insiderinformationen zufolge aber um rund 200 Millionen Euro bewegen.

"Wie kann man so viel Geld für eine Übernahme ausgeben und dann so viele Leute kündigen?", lautet der Tenor bei den freigestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wie berichtet, soll die Trennung schnell gehen. Teams werden kurzfristig in ein Onlinemeeting gerufen und vor vollendete Tatsachen gestellt. Wie Screenshots und Videos zeigen, werden die Accounts und Zugänge noch während des Calls gesperrt. Sogar einen Codenamen soll es intern für die erste Kündigungswelle gegeben haben: "Project Orange". Stellungnahme gibt es dazu auch keine. Für die Freigestellten ändert der Name aber nicht viel, denn sie sehen ohnehin rot. (Andreas Danzer, 23.12.2022)