Österreich gilt seit jeher als Drehscheibe für Spionage aus Moskau.
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Mit gleich zwei größeren Teams der Antiterroreinheit Cobra rückte der österreichische Staatsschutz aus, um eine Wohnung in Wien-Donaustadt zu stürmen. Die Einsätze der polizeilichen Sondereinheit fanden im März statt. Obwohl die Aktion größer angelegt war, blieb ihr Hintergrund über Monate ein gutgehütetes Geheimnis. Die Ermittlungen liefen in der Zwischenzeit weiter. Kurz vor Weihnachten lieferte der Zeitungsboulevard dann die Schlagzeile: Dem Staatsschutz sei ein russischer Spion ins Netz gegangen – das wurde vom Innenministerium kurz darauf auch bestätigt.

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bekommen solche Nachrichten eine zusätzliche Brisanz. Die vom Kreml beauftragte Spionage steht in Europa nun noch stärker unter Beobachtung.

Nicht nur in Österreich, auch in Schweden, Tschechien, Norwegen und Deutschland wurden zuletzt solche Fälle bekannt. Kaum eine westliche Hauptstadt gilt allerdings als derart von russischen Geheimdienstleuten infiltriert wie Wien. Aus Regierungskreisen heißt es, dass inzwischen sogar jeder vierte russische Spion in Europa in Österreich aktiv sei. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine wurden in ganz Europa über 400 Russen, die als Angehörige des russischen Militärgeheimdienstes GRU und des Auslandsdienstes SWR eingestuft wurden, zu "unerwünschten Personen" erklärt und ausgewiesen.

Der Geheimdienstler auf freiem Fuß

Russland hat seine Spionageaktion dementsprechend adaptiert: Wien soll für Moskau zuletzt sogar an Bedeutung gewonnen haben. Die Drähte reichen hierzulande dabei offenbar bis tief in die öffentliche Verwaltung hinein. Umso dringender erscheint es also, dass der Staatsschutz die Spionage in Österreich in Schach zu halten versucht.

Dennoch wirft der Fall des nun enttarnten mutmaßlichen Spions insgesamt sehr viele Fragen auf. Fest steht: Der 39-jährige Grieche mit russischen Wurzeln befindet sich in Freiheit. Nach dem Zugriff im März dürfte der verdächtige Agent nur kurz festgehalten worden sein.

Die damit befasste Staatsanwaltschaft in Wien sah bislang keinen dringenden Tatverdacht, Gründe für eine Untersuchungshaft lägen derzeit noch nicht vor. Wann und ob dem Sohn eines Diplomaten und ehemaligen russischen Geheimdienstler ein Prozess wegen Spionage zum Nachteil der Republik Österreich droht, bleibt unklar. Das ist insofern erstaunlich, als Ermittler insgesamt zehn Millionen Dateien von seinen sichergestellten Geräten ausgewertet haben wollen.

Nicht endgültig geklärt bleibt also auch, mit welchem Spionagekaliber man es hier eigentlich zu tun hat. Laut Informationen des Staatsschutzes soll der Verdächtige für das russische Regime Wladimir Putins als eine Art Stimmungsbarometer gedient haben. Er habe mögliche Reaktionen Österreichs auf den russischen Angriffskrieg eruiert und diese im Vorfeld auch in Moskau deponiert.

Im Vergleich zum jüngsten Spionagefall in Deutschland erscheint die österreichische Causa minimal. Dort soll ein Mitarbeiter des Auslandsgeheimdienstes Staatsgeheimnisse an Russland übermittelt haben. Der Deutsche wurde umgehend festgenommen, er wird des Landesverrats beschuldigt.

Drehscheibe Wien

Die Spionageabwehr ist prinzipiell eines der wichtigsten Themen für die österreichische Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), doch sie ist zugleich Herkulesaufgabe und Sisyphusarbeit. In Wien tummeln sich aus mehreren Gründen bemerkenswert viele Spione: Die Bundeshauptstadt ist Sitz mehrerer wichtiger internationaler Organisationen: der Vereinten Nationen (Uno), der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO), der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) und der Organisation für Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Nicht nur die großen Weltmächte wie die USA, Russland oder China haben dutzende Agenten, die jeweils für die einzelnen Organisationen zuständig sind. Auch kleinere, weniger mächtige Staaten verfolgen teilweise vitale Interessen. So soll hinter dem mutmaßlichen Korruptionsskandal rund um EU-Parlamentarierinnen und Brüsseler Funktionäre Katar stecken. Der keine drei Millionen Einwohner zählende Golfstaat soll versucht haben, gegen Geld und Sachgeschenke Entscheidungen des EU-Parlaments zu beeinflussen.

Die heimische Spionageabwehr ist für solche Aufgabenstellungen traditionell eher mager ausgerüstet. Im inzwischen aufgelösten Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) waren dafür eine Handvoll Beamte verantwortlich. In der BVT-Nachfolgerin, der neu gegründeten Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), dürften es nicht viel mehr sein. Noch dazu kämpfte man die längste Zeit über immer wieder mit Verdachtsmomenten betreffend eigene Mitarbeiter.

Derzeit läuft beispielsweise ein Großverfahren wegen des Verdachts auf Russland-Spionage, wobei die Vorwürfe vehement bestritten werden. Kaum sind etwaige Agenten enttarnt, werden die nächsten "Diplomaten" gen Wien entsandt. Doch auch Erfolge gab es in der Vergangenheit immer wieder, sie wurden allerdings nur selten öffentlich gemacht.

Retrospektiv gilt das als einer der großen strategischen Fehler des BVT: Man konnte der Öffentlichkeit nie vermitteln, was im Verfassungsschutz gut klappte. Dafür drangen Skandale umso lauter nach außen – und spätestens 2018, nachdem eine aus dem Umfeld des damaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ) vorangetriebene Razzia das BVT erschütterte, lag das Amt in Trümmern, sein Ruf litt enorm. Bis heute wird gegen ehemalige Mitarbeiter jenes Referats vorgegangen, das sich auch mit Spionageabwehr beschäftigt hat.

Dabei wäre ein schlagkräftiger Staatsschutz auch für Österreichs Verbündete wichtig: Denn Wien war schon immer eine Art Eintrittstor nach Westeuropa. Früher galt das für die Sowjetunion, heute für ihre Nachfolgestaaten. Auch Staaten wie Nordkorea zählen Wien zu ihren wichtigsten Stützpunkten.

Oftmals dient die DSN als eine Art Vollstreckerin in Bezug auf ausländische Informationen. Enttarnt werden Agenten zusehends durch ihre elektronische Kommunikation. Gelauscht wird aber freilich auch von Botschaftsgrundstücken aus.

Aber: "Manchmal ist es für uns nicht möglich, uns zu vergewissern. Ich kann ja nicht auf das Dach der US-Botschaft steigen. Ich kann auch nicht durch die Zelte dort durchschauen", sagte der damalige BVT-Chef Peter Gridling 2018 zum STANDARD.

Außenstehende müssen draußen bleiben

Auch von einer als russische Siedlung bekannten Wohnhausanlage im 22. Wiener Gemeindebezirk wird angenommen, dass sie als große Abhöranlage diene. Die russische Botschaft bei den Vereinten Nationen befindet sich dort. Das Areal ist von einem grünen Zaun umgeben, die Dichte an Überwachungskameras ist hoch.

Außenstehende dürfen das Gebiet, das schon die Sowjetunion erworben hat, nicht betreten. Ähnlich mythenumrankt sind auch zwei russische Anwesen in den USA: der zwanzigstöckige Wohnturm in Riverdale, einem Wohnviertel im New Yorker Stadtteil Bronx, der von GRU- und SWR-Mitarbeitern bewohnt wird, und das fast 20 Hektar große Areal auf der Halbinsel Pioneer Point in Maryland, das die Sowjetunion in den 1970ern erwarb.

Im Gegenzug erhielten die USA zwei Anwesen in Moskau. Ende 2016 ließ der damalige Präsident Barack Obama den Russen den Zugang zu beiden Grundstücken verwehren. Die Maßnahme war eine Reaktion auf die Einflussnahme Moskaus in die Präsidentschaftswahlen der USA. Sein Nachfolger Donald Trump nahm den Schritt zurück. Wie weit Spionageabwehr geht, hängt also letztlich auch von der Frage ab, wie sehr ein Land bereit ist, Russland vor den Kopf zu stoßen. (Jan Michael Marchart, Anna Giulia Fink, Fabian Schmid, 26.12.2022)