Flüchtling an der steirisch-slowenischen Grenze in Spielfeld: Dass er in Österreich ein Quartier findet, ist in der Praxis nicht garantiert.
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Herbergssuche 2022. In dem Bemühen, allen Asylwerbenden Obdach zu gewähren, wie es rechtlich vorgegeben ist, schrammte Österreich dieses Jahr nur knapp an der weihnachtlichen Vorlage vorbei. Fast hätten viele der im Herbst bis zu 600 Menschen, die täglich ankamen, keine Unterkunft gefunden. Mit großem Druck sowie dem Aufstellen von Zelten konnte größere Flüchtlingsobdachlosigkeit verhindert werden. Politische Diskussionen, giftige Stellungnahmen und ein neuerlicher Aufstieg der FPÖ in Umfragen folgten.

Die Blauen erkannten die Chance, mit ihrem Kernthema, dem Nein zu Flüchtlingen, zu punkten. Im steirischen Kindberg, wo im Jänner ein Quartier für kranke oder besonders verletzliche Asylwerber eröffnet werden soll, setzte Parteichef Herbert Kickl am 16. Dezember zum Generalangriff an. Die Bevölkerung ermunterte er, sich gegen die Unterkunft zur Wehr zu setzen: "Das ist nicht böse oder rechtsextrem, es ist notwendig und logisch, eine Notwehrhandlung." Auch der Regierung gab Kickl einen Tipp. Wäre er Kanzler, ginge er mit den Flüchtlingen wie in Ungarn um, erklärte er: "Wenn sie hundertmal Asyl sagen, habe ich es hundertmal nicht gehört."

Ein Plakat vor dem Ex-Pflegeheim zeigt die Angst der Bevölkerung vor Aufnahme der Gefflüchteten auf. Dort steht: "Nein, nicht mit uns!"
Foto: Oona Kroisleitner

Proteste gegen Unterkunft in Kindberg

Dass das künftige Erstaufnahmezentrum in der Steiermark zur bundespolitischen Bühne der FPÖ wurde, ist dem roten Bürgermeister Christian Sander ein Dorn im Auge. Kickl hätte "politisches Kleingeld" gewaschen, sagt er im Gespräch mit dem STANDARD. Dabei ging der Widerstand gegen das geplante Heim ursprünglich von allen Parteien aus: Die lokale SPÖ, ÖVP, FPÖ sowie KPÖ stemmten sich gegen die befürchtete "Massenunterkunft".

Geplant ist, dass rund 250 vulnerable Geflohene, also Kranke, Traumatisierte, Minderjährige und Frauen, mit Neujahr in das ehemalige Landespflegeheim Kindberg einziehen. Die rund 8700 Einwohnerinnen und Einwohner starke Gemeinde im Bezirk Bruck-Mürzzuschlag zeigt sich wenig erfreut.

Über ihre Köpfe hinweg habe die Bundesbetreuungsagentur (BBU) den Standort ausgewählt, kritisiert Sander. "Das ist nicht gerade vertrauensbildend." Und so prangt vor der Einfahrt ein von allen Parteien gemeinsam gestaltetes Transparent mit der Aufschrift: "Nein, nicht mit uns!"

Mit Worst-Case-Szenario Stimmung gemacht

Die Sorge der Kindberger Politik: "Das Gebäude hat eine Größenordnung, wo viel mehr Leute hineingehen", sagt Sander. Zudem sei es ein "desolates Gebäude", das renoviert werden müsse. Es brauche Tische, Bänke und einen Spielplatz im Außenbereich, WLAN, Aufenthaltsräume und ein Beschäftigungsangebot, bevor die Menschen kommen. Über den tatsächlichen Zustand des Gebäudes konnte sich Sander bisher noch keinen Überblick verschaffen.

Die BBU habe den Stadtchef noch nicht hineingelassen. Am Beispiel Traiskirchen sehe man, was entstehen könne. Dabei sei man nicht gegen Flüchtlinge – schon 2015 habe man Familien aufgenommen, die "bestens integriert sind", und zuletzt Menschen aus der Ukraine unterstützt –, sondern nur gegen eine "menschenunwürdige Massenunterkunft".

FPÖ-Chef Herbert Kickl am 16. Dezember im steirischen Kindberg. Das Nein vieler Anrainer zum dort geplanten Flüchtlingsquartier bezeichnete er als "Notwehrhandlung".
Foto: APA / Erwin Scheriau

Vor dieser hätten die Leute im Ort Angst. Sander spricht davon, dass bis zu 1000 Personen im Ex-Pflegeheim Platz hätten. Ob die Stadt mit dem Worst-Case-Szenario selbst die Furcht in der Bevölkerung befeuert, wie es auch die Freiheitlichen tun? "Wenn es ein Erstauffanglager für Vulnerable wird und 250 kommen, dann kann ich damit leben. Wenn das vollgestopft wird mit jungen Männern, überfordert das den Ort", sagt Sander.

Höchstens 250 Insassen versprochen

Um der Bevölkerung Sorgen zu nehmen, trat zuletzt auch Innenminister Gerhard Karner auf: Er versicherte Steiermarks Landeschef Christopher Drexler (beide ÖVP), dass nicht mehr als 250 Geflohene untergebracht würden, und versprach zusätzliche Polizeistreifen.

Dass Wohnprojekte wie in Kindberg auf Proteste stoßen, sei nicht überraschend, sagt Thomas Fussenegger, Sprecher der Asyl-Bundesbetreuungsagentur BBU. Es sei aber einer der Faktoren, die ein Ende des Quartiernotstands erschwerten. Derzeit erreichen wöchentlich 1300 bis 1400 Asylsuchende Österreich. Nach ihrer Registrierung werden sie mit einem ÖBB-Ticket für die Fahrt zu einer Fremdenpolizeistelle ausgestattet, die Ressourcen für ihre Erstbefragung hat; viele nutzen den Fahrschein, um Österreich wieder zu verlassen. In Innsbruck campierten Asylwerbende, die außerhalb der Amtszeiten eingetroffen waren, im Herbst vor dem Polizeiquartier. Solche Probleme gibt es mittlerweile nicht mehr.

Das Ex-Pflegeheim hätte Platz für bis zu 1000 Personen.
Foto: Oona Kroisleitner

Weiter Flüchtinge in Zelten in den Wartezonen

Doch nach wie vor staue es sich danach, bei der Aufnahme in ein Erstaufnahmezentrum der BBU wie etwa in Traiskirchen. Da aus den Erstaufnahmestellen weiterhin nicht genug Asylwerbende in Länderbetreuung aufgenommen werden, wie es die Bund-Länder-Vereinbarung aus 2004 eigentlich vorsieht, "ist es uns nicht gelungen, die sogenannten Wartezonen für Flüchtlinge zu leeren und aufzulösen", sagt der BBU-Sprecher.

"Wir hätten das gern bis Weihnachten geschafft." Dann jedoch seien bei einigen geplanten Länderquartieren Verzögerungen eingetreten, sagt Fussenegger. Auch habe die BBU die alte Wirtschaftsuni in Wien vereinbarungsgemäß wieder räumen müssen; die Stadt Wien hat dort ein Ankunftszentrum für Ukraine-Vertriebene eingerichtet. Das Resultat: Rund 90 junge Männer müssen in einer der Wartezonen in Klagenfurt, Kufstein sowie Spielfeld ausharren – 40 von ihnen in Spielfeld in Zelten.

Zuletzt herrschte strenger Frost. Das Uno-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) forderte ein Ende der Zeltunterbringung. Vergangenen Mittwoch versammelten sich 20 Zeltbewohner auf einem Parkplatz und ersuchten darum, Abhilfe zu schaffen. Einige wurden in feste Unterkünfte verlegt, doch noch am selben Tag kamen neue Asylwerbende in der Spielfelder Wartezone an.

Was im kommendem Frühjahr zu erwarten ist

Herbergssuche 2022. Heuer ist die Lage Ende Dezember anders als in früheren Wintern. Die angespannte Quartiersituation hat sich in die kalte Jahreszeit hinein verlängert. Auch jetzt, wo Asylfachleute eigentlich wenig Wanderungsbewegung nach Europa erwarten, ist die Zahl der Ankünfte zu hoch, um das heimische Grundversorgungssystem nachhaltig zu entlasten. Die Belegung der BBU-Erstaufnahmezentren zeigt es. Ende 2021 waren dort 2200 Asylwerbende untergebracht, heuer sind es 7500.

Gelingt hier bis zur warmen Jahreszeit kein Minus, so befürchten Kenner des Systems einen weiteren Quartierkollaps im Frühjahr, wenn ein neuerliches starkes Ankunftsplus zu erwarten ist. "Fürs kommende Jahr mache ich mir große Sorgen", sagt ein anonym bleiben wollender Ministeriumsexperte.

Experte: Es braucht verbindliche Bund-Länder-Regeln

Es sei denn, das Grundversorgungssystem werde geändert, meint dazu der Jurist und Organisationsentwickler Wolfgang Gratz. Als Ausweg aus dem notorischen österreichischen Asylunterbringungschaos schlägt der Autor des Buches Asylkrise über den Umgang mit der großen Fluchtbewegung 2015/16 "mehr Verbindlichkeit sowie Sanktionen im Fall der Nichterfüllung der Vorgaben" vor. In Deutschland gebe es das. Der dortige Königsteiner Schlüssel führe dazu, dass die Bundesländer ihre Unterbringungsquoten erfüllen.

Den Einwand, dass derlei Konsequenz im österreichischen Föderalismus nicht lebbar sei, lässt Gratz nicht gelten: "Bei jeder Neuerung in einem Betrieb sind zuerst etliche dagegen. Dann aber akzeptieren sie es." (Irene Brickner, Oona Kroisleitner, 23.12.2022)