Damit der Walzer auch so richtig leicht klingt und schwebt, muss ordentlich gearbeitet werden: Dirigent Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker.

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Daniel Froschauer, Vorstand der Wiener Philharmoniker, erschrak über sich selbst. Bei der Pressekonferenz zum nahenden Neujahrskonzert hatte er zwar berichtet, wie glücklich er an diesem Donnerstagmorgen mit dem Gedanken aufgewacht sei: Was für ein schöner Beruf, in diesem Saal, dem Goldenen des Musikvereins, diese Musik spielen zu dürfen, die walzerselig ins neue Jahr leite. Plötzlich bemerkte Froschauer aber, dass er Deutsch sprach, was bei einer internationalen Pressekonferenz etwas einseitig wirkte. So wiederholte er seine Schilderung zum Berufsglück auf Englisch.

Als er Dirigent Franz Welser-Möst besuchte, um das Repertoire für das diesjährige Neujahrskonzert zu diskutieren, erschrak er zwar nicht. Zweifellos holte ihn der Dirigent, der dieses Event schon zweimal geleitet hatte, "raus aus meiner Komfortzone", so Froschauer. Welser-Möst hatte nämlich eine besondere Nachricht.

14 von 15 Stücken neu

Nachdem er in der Corona-Zeit die Werke der Strauss-Dynastie und ihrer komponierenden Zeitgenossen studiert hatte, war er zu dem Schluss gekommen, dass "wir zehn Programme spielen könnten", so der Linzer. Und zwar nur mit Stücken, die noch nie beim Neujahrskonzert erklungen sind. Am Ende waren 14 von 15 Stücken neu. Mittlerweile ist die Herausforderung bei Froschauer und den Musikern und Musikerinnen der Philharmoniker offenbar dem wohl stressigen Spaß gewichen. "Zuerst kennt man die Stücke nicht, ist beschäftigt mit dem Erarbeiten des eigenen Parts."

Dann aber, so Welser-Möst, "begannen sie die Neuheiten zu genießen und entdeckten Kostbarkeiten". Froschauer jedenfalls bedankt sich bei Welser-Möst, dass "du uns auf diese Reise mitnimmst". Dass manche der nie gespielten Werke womöglich zu Recht vergessen waren, da ihre Qualität nicht exorbitant ist, lässt Welser-Möst nicht gelten.

Bonmot von Johann Strauss

Man möge etwa an die Symphonien von Gustav Mahler zurückdenken. Deren Renaissance habe erst spät Leonard Bernstein angestoßen. Auch erinnerte er an Mozarts "Così fan tutte" und die Opern von Barockmeister Georg Friedrich Händel. Das alles wäre erst wieder zu entdecken gewesen. Auch streute Welser-Möst ein Bonmot von Johann Strauss ein: Der habe gemeint, er sei der Berühmtere, aber Bruder Josef sei der Talentiertere gewesen.

Sein persönlicher Favorit sei jedenfalls heuer der Walzer "Perlen der Liebe" von ebendiesem Josef, dieser Walzer sei regelrecht eine Tondichtung. Dass Welser-Mösts letztes Neujahrskonzert zehn Jahre her ist, liegt nicht daran, dass ihn die Wiener Philharmoniker vergessen hätten. Froschauer betont die langsam gewachsene, gute Beziehung zum Dirigenten, die sich auch bei den Salzburger Festspielen weiterentwickelt habe. Welser-Möst sei neben Daniel Barenboim und Riccardo Muti der dritte Dirigent gewesen, der in der einschränkenden Corona-Zeit sofort dabei gewesen sei, selbst vor 100 Zuschauern zu musizieren.

Zu früh bekannt

Leicht gereizt wirkte Welser-Möst, als die Frage aufkam, wann endlich eine Frau den Neujahrsvormittag dirigieren werde. Welser-Möst meinte, es komme nicht auf das Geschlecht an, sondern auf die Erfahrung. So viele junge Talente seien zu früh hochgekommen und seien dann verheizt worden. Er selbst sei mit 30 Jahren Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra geworden, ohne dafür bereit zu sein. "Das ist eine künstlerische Frage, keine politische", so Welser-Möst. Das Neujahrskonzert sei schlicht auch "das Komplexeste, das man dirigieren kann".

Zu diesem Thema meinte Froschauer: Man werde "eine weibliche Dirigentin haben, wenn die Zeit kommt". Warum die Philharmoniker nicht kontinuierlich nachhaltige künstlerische Beziehungen mit Dirigentinnen aufbauen, blieb aber offen. Dass erstmals in der Geschichte beim Neujahrskonzert neben 30 Sängerknaben auch zehn Wiener Chormädchen mit von der Partie sein werden, also die weibliche Fraktion des Traditionschors, sei natürlich ebenfalls erwähnt – wie auch, dass Froschauer einst Sängerknabe war. Was beim Konzert gesagt werden wird, ist noch offen. Es wird das Konzert jedenfalls auch in die Ukraine übertragen ... (Ljubiša Tošic, 30.12.2022)