Bis ins 19. Jahrhundert wurden stets Globenpaare gefertigt, die neben unserem Planeten auch das Weltall in Kugelform zeigten, wie hier bei dem Paar des berühmten Kartografen Gerhard Mercator aus dem 16. Jahrhundert.
Foto: ONB/Globenmuseum

Einst schmückten sie die Prunksäle von Herrschenden und die Wohnzimmer des reichen Bürgertums, um später zur Grundausstattung an Schulen und in praktisch jedem Haushalt zu werden. Im Zeitalter von Google Earth und anderen digitalen Kartendiensten wirken sie bemerkenswert anachronistisch und drohen nun auf Dachböden und in Kellern zu verstauben. Und doch oder gerade deshalb geht von ihnen bis heute eine große Faszination aus: Globen.

Zwar hat das große Revival der drehbaren Kugeln anders als bei anderen Retro-Objekten wie Schallplatte, Tretroller und Schach noch nicht eingesetzt. Der nächste Nostalgietrend ist bekanntermaßen aber oft nur einen Serienhit auf Netflix entfernt. Abgesehen vom haptischen Erlebnis helfen uns Globen, die Erde in ihrer Kugelform zu begreifen, was uns im Alltag naturgemäß verborgen bleibt.

Kartografischer Vorteil

Bis heute besitzen Globen aber auch kartografisch gesehen einen großen Vorteil: Im Gegensatz zu einer Karte können sie das Bild der Erdoberfläche verzerrungsfrei wiedergeben und sind winkel-, flächen- und entfernungsgetreu. "Bei Karten führt die Darstellung auf einer rechteckigen Fläche dazu, dass Grönland so groß wie Südamerika wird, obwohl es in Wahrheit nur elf Prozent von dessen Fläche ausmacht", erklärt Jan Mokre, Leiter des Wiener Globenmuseums. Diese verzerrte Darstellung der Polbereiche sei mathematisch zwar begründbar und stringent, beim Globus könne man die richtigen Proportionen allerdings auf einen Blick erfassen.

Es gibt sie in allen erdenklichen Größen – auch im Miniformat wie dieses 2,5 Zentimeter kleine Stück aus dem Jahr 1910, das als Einrichtungsgegenstand für Puppenstuben diente.
Foto: ONB/Globenmuseum

Wie bedeutsam Globen als Teil unserer Kulturgeschichte sind und welche Entwicklung sie in den vergangenen zwei Jahrtausenden mitgemacht haben, lässt sich beim Rundgang durch das Globenmuseum im Palais Mollard in der Herrengasse in Wien erahnen. Unter den mehr als 250 ausgestellten Objekten befinden sich wertvolle Stücke wie zwei des berühmten Kartografen Gerhard Mercator aus dem 16. Jahrhundert sowie ein Unikat von Gemma Frisius aus dem Jahr 1536 – der älteste erhaltene Erdglobus in Österreich. Auch das Museum, das Teil der Nationalbibliothek ist, ist quasi ein Unikat. Es ist das weltweit einzige öffentliche, in dem es ausschließlich um Globen und deren Geschichte geht.

Seefahrtmächte tonangebend

So präsent Wien heute bei dem Thema ist – neben dem Museum wird am Institut für Geographie der Universität Wien geforscht, und auch der Sitz der einzigen internationalen Gesellschaft für Globenkunde befindet sich hier: In der europäischen Hochblüte der Globenkunst spielte Österreich lange eine untergeordnete Rolle. Ab dem 16. Jahrhundert und der Expansion Europas in weit entfernte Überseeregionen sind Seefahrtsmächte wie die Niederlande, England und Frankreich bei der Produktion führend.

Neben Erd- und Himmelsgloben wurden später auch Planeten- und Mondgloben gefertigt. Dieses Pariser Exemplar aus dem Jahr 1897 zeigt den Mars.
Foto: ONB/Globenmuseum

Anfangs fungieren Globen als Recheninstrumente, um geografische und astronomische Fragen beantworten zu können. Auf Schiffen werden sie zwar nicht für die Navigation, aber zur Ausbildung von Kadetten auf den Fahrten eingesetzt. Mehr als alles andere dienen sie allerdings als Statussymbol, das nicht nur das europäische Entdeckertum über die eigenen Grenzen hinaus zum Ausdruck bringt.

Vielmehr stehen sie auch für das neu gewonnene Selbstbewusstsein des Handelsbürgertums. Dieses kann sich die teuren Anfertigungen, die bisher Adel und Klerus vorbehalten waren, für den privaten Gebrauch leisten und so zunehmend auch die eigene Bildung zur Schau stellen.

Globenpaare: Das Irdische und Göttliche

Heute völlig aus dem Bewusstsein verschwunden ist, dass bis ins 19. Jahrhundert im Normalfall Globenpaare angefertigt wurden. Neben der Erdkugel gab es einen dazu passenden Himmelsglobus, der die Sternenkonstellationen von der Erde aus gesehen abbildete. Tatsächlich sind die ältesten Funde aus der Antike allesamt Himmelsgloben, als Materialien kamen Stein und Metall zum Einsatz.

Das Globenpaar aus Prag, datiert mit 1822 und 1824, stammt vom Kartografen Joseph Jüttner.
Foto: ONB/Globenmuseum

"Erdgloben waren in der Antike eher ein theoretisches Konzept. Man konnte die Größe der Erdkugel zwar schon berechnen, wusste daher aber auch, dass gerade einmal 20 Prozent der Fläche bekannt waren. Für die Darstellung der Erdoberfläche eigneten sie sich folglich weniger gut. Das Weltall hingegen war von überall auf der Erde gut sichtbar und spielte auch für die Navigation und Orientierung eine wichtige Rolle", erklärt Mokre.

Die spätere Paarsituation von Erd- und Himmelsglobus habe eine wichtige symbolische Bedeutung gehabt. Während der Erdglobus für das irdische Wirken und Nichtige stand, symbolisierte der Himmelsglobus das Universale und Göttliche. Da die seit der Antike in Sternbildern zusammengefassten Konstellationen erst im 20. Jahrhundert Standardisiert wurden, ist auf alten Himmelsgloben Kurioses zu finden. Neben dem heute noch bekannten Sternbild des Bären finden sich auch längst verworfene wie "Katze", "Biene" und "Luftballon" wieder.

Globus als Lehrmittel und Lampe

Mit der zunehmenden Massenproduktion und der kommerziellen Verbreitung löst sich das Paarkonzept langsam, aber sicher auf. Übrig bleiben günstig produzierbare Erdgloben, die mit der Einführung der Schulpflicht verbreitet als Lehrmittel eingesetzt werden.

Ab Ende des 19. Jahrhunderts folgt der nächste evolutionäre Schritt: Erstmals gibt es Globen, die von innen beleuchtet sind – die nordböhmische Firma Stelzig, Kittel & Co. konzipiert das Ganze als Petroleumlampe mit einem bedruckten Lampenschirm aus Glas. Schon in den 1920er-Jahren wird die Beleuchtung im Inneren elektrisch, und auch das Glas ist durch die aufkommende Kunststofftechnik schnell Geschichte. Es wird von günstigerem Acrylglas abgelöst.

Mondgloben in den 1960ern

Mokres Lieblingsstück im Museum zeigt verblüffenderweise weder Himmel noch Erde, sondern unseren Mond. Der auf den ersten Blick unscheinbare Globus kam 1961 in Russland auf den Markt und ist der erste, der einen Teil der Rückseite des Mondes inkludiert hat. Die revolutionären Aufnahmen stammen von einem Erkundungsflug der Mondsonde Luna 3 im Jahr 1959.

In den 1960ern gab es eine kurze Hochblüte der Mondgloben. Das abgebildete Objekt aus Moskau ist das erste, das einen Teil der damals gerade erst fotografierten Mondrückseite inkludierte.
Foto: ONB/Globenmuseum

"Bis zum Beginn der Raumfahrt kannte man nur die zur Erde gewandte Seite. Dass man nicht auf die vollständige Erfassung wartete und den Globus mit dem ersten neuen Ausschnitt produzierte, zeigt, wie stolz man auf diese Missionen war", erklärt Mokre. Der weltweite Hype um die Mondgloben währte allerdings nur kurz. Nach der letzten bemannten Mondlandung von Apollo 17 Ende 1972 verschwanden sie langsam, aber sicher wieder aus den Verkaufsregalen.

Die Zukunft der drehenden Kugel

Wie es mit dem Globus im digitalen Zeitalter weitergeht, ist ungewiss. Tatsächlich gibt es schon Produkte, die mit sphärischen Displays ausgestattet sind und diverse Informationen ein- und ausblenden können. Als Hürde gilt neben Displaytechnologie und hohen Kosten jedoch auch die Software, um die Daten aufzubereiten. "Es gibt durch die jahrtausendelange Tradition eine gewisse Erwartungshaltung, dass der Globus als Kugel überlebt. Man darf gespannt sein, ob das rein virtuell sein wird oder über neuartige digitale Geräte", sagt Mokre. (Martin Stepanek, 8.1.2023)