In den Bergen Nordalbaniens ließ Enver Hoxha seine politischen Gegner in Steinbrüchen arbeiten.

Foto: Michael Windisch

Spaç/Tirana – Sengend brennt die Sonne herab auf den Steinbruch von Spaç. Eine jahrzehntealte Stille liegt in der steilen und felsigen Schlucht. Am Abgrund lehnen die verfallenen Überreste schmuckloser Gebäude und trotzen dem trockenen Wind, der durch das spätsommerliche Tal pfeift. Spaç: Unter den zahlreichen Arbeitslagern im kommunistischen Albanien war dieses wohl das berüchtigtste. Hier, im kargen Nordosten des Landes, ließ Enver Hoxha, die "eiserne Faust" Albaniens, über Jahrzehnte wegsperren, wen er zum Feind erkoren hatte.

Das Lager von Spaç brauchte keine Zäune. Die Natur selbst stand jedem Fluchtversuch entgegen. Eine einzige Straße führt hierher. Von der Autobahn, die von der dichter besiedelten Küste im Westen in den Kosovo im Osten führt, sind es gerade mal zehn Kilometer. Doch selbst heute, mehr als dreißig Jahre nach dem Ende der Diktatur, ist die Fahrt nach Spaç ein Höllenritt.

Zehn steile Kilometer Schotterpiste führen nach Spaç.
Foto: Michael Windisch

Offiziell ist die SH40 als Nationalstraße gelistet. Tatsächlich besteht sie nur aus einer Ansammlung von Steinen, Staub und Schlaglöchern, die sich in steilen Kehren in das Tal hineinwinden. Die kurze Strecke wird im Schneckentempo zur Geduldsprobe. Gelegentlich kommen Lkws aus Steinbrüchen in dicken Staubwolken entgegen. Dann ein Pick-up. Der Fahrer hält an, fragt uns, ob wir nach Spaç wollen, ins Gefängnis. Als wir bejahen, sagt er, wir sollen gut aufpassen – er sei der Gefängniswärter. Dann lacht er über seinen makabren Scherz, gibt uns noch einen Tipp, wo wir halbwegs sicher parken können, und fährt weiter.

Macht und Paranoia

In einer Mischung aus Paranoia und Machtbesessenheit baute Enver Hoxha – von 1944 bis zu seinem Tod 1985 unangefochten an der Spitze Albaniens – nach außen auf die völlige Abschottung des Landes. Nach innen überzog der Geheimdienst "Sigurimi" den Balkanstaat mit einem dichten Netz, das früher oder später jeden, der Hoxha gefährlich werden konnte, einfing und nicht mehr ausließ. Es waren politische Gegner, Intellektuelle, Geistliche, vermeintliche jugoslawische oder sowjetische Spione.

Die in roter Schrift gemalten Worte des Diktators Enver Hoxha sind mittlerweile kaum mehr zu lesen.
Foto: Michael Windisch

Das Ausmaß des kommunistischen Lagerterrors aber ist bis heute schwer überschaubar. Sowohl die Zahl der Lager als auch die der Lagerinsassen unterscheiden sich von Quelle zu Quelle stark. Laut einem Historikerbericht aus dem Jahr 2016 ließ das kommunistische Regime in den Jahren seiner Herrschaft (1944 bis 1990) mehr als hundert Camps errichten, die knapp 60.000 Gefangene durchliefen. Mehr als 6.000 Menschen wurden hingerichtet, etwa 1.000 starben an den Folgen der Gefangenschaft. An den Mauern vor ihren Zellen in Spaç prangen noch heute in brandroter Farbe Zitate des Diktators Hoxha, vornehmlich über das Wesen des Sozialismus.

Kupfer und Pyrit für den Diktator

Der albanisch-französische Künstler Maks Velo, selbst zu zehn Jahren Haft in Spaç verurteilt, bezeichnete das Camp als "schrecklichstes Lager in Europa oder zu jener Zeit der ganzen Welt". Abgebaut wurden hier zwischen 1968 und 1990 Kupfer und Pyrit – der zur Herstellung von Schwefelsäure verwendet wird. Viele Gefangene erkrankten wegen des hohen Arbeitspensums oder starben an giftigen Dämpfen. Harte Strafen waren an der Tagesordnung. Hitze im Sommer und Schnee und Eis im Winter zermürbten die Häftlinge zusätzlich.

Im Sommer lag die Hitze, im Winter Eiseskälte über den Berghängen.
Foto: Michael Windisch

Dennoch droht Spaç das Vergessen. Vor Ort verfallen einige wenige Informationstafeln gemeinsam mit den Gebäuden. 2016 setzte der World Monument Fund das Lager von Spaç auf seine Liste gefährdeter Kulturdenkmäler. Konzepte einer albanischen NGO für einen Gedenkort liegen seit längerer Zeit vor, ein Zeitplan jedoch nicht. Immerhin eine digitale Rekonstruktion des Geländes konnte die Organisation Cultural Heritage without Borders gemeinsam mit dem US-amerikanischen Worcester Polytechnic Institute realisieren.

Eine schwedische NGO hat Teile der Fassade behelfsmäßig gesichert, um den schlimmsten Verfall zu verhindern. Die angrenzende Mine gehört seit einigen Jahren einem türkischen Unternehmen, nachdem nach der Wende der Kupferabbau über Jahrzehnte zum Erliegen gekommen war. Auf der Website des Unternehmens findet sich unter "Project Spaç" ein einziger Satz über die Geschichte des Geländes als Lager.

"Sie waren blau geschlagen und voll mit Blut"

1973 kam es zu einem Aufstand in Spaç. Die Arbeitsbedingungen und der Hunger trieben die Häftlinge in die Revolte. Doch das Unterfangen war aussichtslos: "Spezialeinheiten des Innenministeriums aus Tirana wurden mit einem Hubschrauber eingeflogen und befahlen uns, uns zu ergeben. Wir waren von diesen Einheiten umzingelt", berichtete Gramos B., ein Zeuge des Aufstands, um die Jahrtausendwende in einem Dokumentationsband – in der Publikation wird der Aufstand wohl irrtümlicherweise auf das Jahr 1985 datiert.

Von 400 Insassen seien 40 verhaftet worden: "Am nächsten Tag kamen zwei Lastwagen, um sie abzutransportieren. Als die 40 Männer aus den Zellen kamen, erkannten wir sie nicht mehr. Sie waren blau geschlagen und voll mit Blut. Ihre Hände waren am Rücken gefesselt und sie wurden von den Aufsehern immer wieder geschlagen ... In dieser Zeit mußten wir im Lager immer häufiger Menschen begraben, die erschossen oder erschlagen worden waren."

Seit den 1990ern stehen die Gebäude leer.
Foto: Michael Windisch

"Generation ohne Gedächtnis"

Der heutige Zustand von Spaç kann als Symbol gelten für die fehlende Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit in Albanien. Die Geheimdienstarchive wurden zwar 2015 geöffnet. Zu einer Verurteilung von Tätern habe das aber nicht geführt, erzählt Jonila Godole, die das Institute for Democracy, Media and Culture in Tirana leitet. Die politischen Eliten des Landes hätten wenig Interesse an einer Aufarbeitung, zu stark wirkten bis heute die Netzwerke der früheren Machtzirkel. Große Teile der Bevölkerung seien um Vergessen bemüht. Vor allem die albanische Jugend sei "eine Generation ohne Gedächtnis". So sei eine "Kultur der Straffreiheit" entstanden, die sich heute unter anderem in der weitverbreiteten Korruption Bahn breche.

Mit ihrem Institut besucht Godole Spaç immer wieder mit Jugendlichen. Dass es kein öffentliches Interesse an einem Gedenkort gibt, stößt ihr sauer auf. Zwar gebe es in Tirana Museen in der früheren Geheimdienstzentrale und im Innenministerium: "Die sind aber nur an den Orten der Täter und nicht an denen der Opfer. Das ist kein Zufall." Dass die Kupfermine von Spaç mittlerweile wieder in Hochbetrieb ist, erschwere es zudem, dort Projekte umzusetzen.

Heute lebt ein Pferd auf dem Gefängnisgelände.
Foto: Michael Windisch

Mittlerweile lebt ein einsames Pferd in den Ruinen des alten Lagers. Die Arbeiter der Kupfermine füttern es mit Resten ihres Mittagessens. Uns Besucher betrachtet es skeptisch. Erst als wir uns wieder ins Auto setzen, um den langen Weg ins Tal anzutreten, dreht auch das Pferd sich um und verschwindet hinter einer Baracke. Es dürfte jetzt wieder längere Zeit Ruhe haben. (Michael Windisch, 6.1.2023)