Für den gerade laufenden U-Ausschuss zu etwaigen ÖVP-Korruptionsfällen käme es zu spät, aber für künftige Ausschüsse möchten vier der fünf Parlamentsparteien Live-Übertragungen im Fernsehen ermöglichen. Das setzt die Zustimmung der ÖVP voraus.

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Wien – Das Einzige, das im Zusammenhang mit dem ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss fix ist, ist das Ende: Am 1. Februar ist offiziell Schluss. Was bis dahin in den letzten Befragungstagen im Jänner noch passieren wird, ist hingegen noch offen. Schon bei der Frage nach der Anzahl der Befragungstage sind die Parteien uneins. SPÖ und FPÖ wollen noch drei, Neos und ÖVP zwei Tage und eventuell einen Reservetag. Die Grünen, der Koalitionspartner der für den laufenden U-Ausschuss anlass- und namensgebenden ÖVP, haben sich noch nicht festgelegt.

In einer anderen Frage, die über den aktuellen U-Ausschuss hinausweist, gibt es ebenfalls große Auffassungsunterschiede. Da allerdings steht die ÖVP mit ihrer Position alleine da. Denn alle anderen Parteien – Grüne und Opposition – treten dafür ein, auch für U-Ausschusssitzungen TV-Liveübertragungen zuzulassen. Die ÖVP stellt, wie das Ö1-"Morgenjournal" am Samstag berichtete, Gegenforderungen, um dem Vorhaben, die Öffentlichkeit an U-Ausschüssen direkt teilhaben zu lassen, zuzustimmen. Ohne die Stimmen der ÖVP wird es keine Kameras im Sitzungssaal geben, weil dafür eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist.

Wahrheitspflicht auf der Löwingerbühne

Neos-Fraktionsführerin Stefanie Krisper meinte im Ö1-Bericht zur Motivlage für das ÖVP-Nein zu Liveübertragungen von U-Ausschüssen: "Dadurch kann sie ihr Spielchen weiterziehen und behaupten, das wäre alles eine Löwingerbühne oder sonstiges."

Dem widersprach der ÖVP-Fraktionsführer im U-Ausschuss, Andreas Hanger, und sagte, seine Partei wolle Übertragungen nur dann zustimmen, "wenn's zu einer Gesamtreform des Untersuchungsausschussrechts kommt". Ein Thema ist die Wahrheitspflicht. Sie solle nicht nur für Auskunftspersonen gelten, sondern auch für Abgeordnete, denn die dürften, so wurde Hanger auf Ö1 zitiert, "alles und jedes erzählen". Der ÖVP-Fraktionsführer sagte: "Irgendwelche Verschwörungstheorien werden auf den Tisch gelegt und auf der anderen Seite hat man eine Auskunftsperson, die, wenn sie einen Beistrich falsch sagt, sofort eine Falschaussage hat."

Solche Ideen wie "die Wahrheitspflicht für Auskunftspersonen abzuschaffen oder dass wir als Abgeordnete dem Vorsitzenden unsere Fragen vorab übermitteln müssen", findet SPÖ-Fraktionsführer Kai Jan Krainer "absurd. Die nimmt ja niemand ernst."

Offenheit vs. Geheimhaltung

Nachfrage bei zwei Verfassungsjuristen, wie sie das Thema öffentliche Übertragung von U-Ausschusssitzungen einschätzen. Beide, sowohl Heinz Mayer als auch Bernd-Christian Funk, sehen zwei Tangenten, die es zu beachten gebe: die juristische und die demokratiepolitische. Demokratiepolitisch sind beide Verfassungsexperten dafür: "Demokratie ist auf Offenheit angelegt", sagte Mayer am Samstag im STANDARD-Gespräch: "Geheimhaltung ist ein Kennzeichen autoritärer Systeme."

Aber, und da komme ein wichtiger rechtlicher Aspekt, ins Spiel: "Natürlich muss man auch in einem U-Ausschuss gewisse Persönlichkeitsrechte wahren", betont Mayer: "Das heißt, unter Umständen muss dann die Befragung von Auskunftspersonen ohne Kameras und Öffentlichkeit erfolgen – so wie wir das ja auch vor Gericht kennen und praktizieren." Das könnte etwa Fragen nach dem Privat- und Familienleben oder die sexuelle Orientierung betreffen.

Hangers Bedingung, die Wahrheitspflicht im U-Ausschuss abzuschaffen, nennt Verfassungsjurist Mayer hingegen "absurd. Dann würde das Ganze auf Stammtischgeplauder reduziert."

Debattenunkultur im Blick der Öffentlichkeit

Auch sein Kollege Bernd-Christian Funk, wie Mayer emeritierter Professor der Universität Wien, ist grundsätzlich für die Möglichkeit, U-Ausschüsse live zu übertragen und der Bevölkerung direkten Einblick zu ermöglichen: "Ich würde mir davon auch eine Verbesserung der Auseinandersetzungs- und Debattenkultur, die hierzulande ja allzu oft eine Debattenunkultur ist, erhoffen. Die Beteiligten würden dann nicht mehr so ohne weiteres mit den Hackeln hin- und herwerfen und auf unsachliche Argumentationslinien ausweichen, die nur der politischen Propaganda dienen", sagt er zum STANDARD: "Es ist schon ein Unterschied, ob das alles in den vier Wänden des U-Ausschusses vor sich geht oder vor den Augen der Öffentlichkeit. Das hätte einen mäßigenden Effekt. Das wäre zumindest meine Hoffnung."

Formal gesehen müsste die Verfahrensordnung für U-Ausschüsse geändert werden, die ist Teil der Geschäftsordnung des Nationalrats, zwar kein Verfassungsgesetz, aber dennoch eine Zweidrittelmaterie. Funk weist ebenfalls auf berechtigte und wichtige "Fragen des Schutzes persönlicher Daten" bei einer Live-Übertragung hin: "Insofern ist es schon richtig, dass diese Frage nicht isoliert zu beantworten, sondern in den großen Gesamtzusammenhang der Arbeitsweise und Funktion von U-Ausschüssen zu stellen ist."

Schutz der Persönlichkeitsrechte wichtig

Der Schutz der Persönlichkeitsrechte durch den zeitweiligen Ausschluss der Öffentlichkeit bei bestimmten Themen sei aber "nicht eins zu eins" aus dem Justizbereich zu übernehmen, sagt Funk: "Im U-Ausschuss müsste so ein Ausschluss etwa durch eine Verfahrensanordnung des oder der Vorsitzenden geschehen oder, näherliegend, mit einer qualifizierten Mehrheit im Ausschuss beschlossen werden." Man bräuchte auch ein Verfahren, um solche Entscheidungen zu überprüfen, sowie Regelungen für etwaige Verfahrensfehler. Im U-Ausschuss seien das alles "Fragen der politischen Entscheidung". Die zuständige Rechtsschutzinstanz wäre laut Funk der Verfassungsgerichtshof.

"Türen der ÖVP für Reform stehen weit offen"

Der in der ÖVP für eine Reform der U-Ausschüsse zuständige Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl präzisierte am Samstagabend im STANDARD-Gespräch die Position der ÖVP in der Frage der TV-Übertragungen von U-Ausschüssen: "Die Türen der Volkspartei für eine umfassende Reform stehen weit offen: Transparenz, Offenheit und der Schutz der Persönlichkeitsrechte mögen Leitschnur der Verhandlungen sein! Eine Live- Übertragung ist dabei ein wichtiger Teil, aber alleine zu wenig, um das Vertrauen in die Arbeit der Untersuchungsausschüsse wieder herzustellen." Im Übrigen, betonte Gerstl, bestehe dieses Angebot an die Opposition zur U-Ausschussreform seit mehr als eineinhalb Jahren. (Lisa Nimmervoll, 7.1.2023)

Update um 18:40 Uhr: Stellungnahme von ÖVP-Verfassungssprecher Gerstl wurde eingefügt.