Gesichter aus dem Film überziehen als Projektion dasjenige der Liveperformerin.

Foto: Alex Gotter

Wien – Kein schöner Land in dieser Zeit, Hoch auf dem gelben Wagen oder Die Gedanken sind frei: Mit Liedern aus der Kindheit hat Theatermacherin Leni Plöchl die Erinnerungen von Altenheimbewohnern in Tel Aviv getriggert. Die einst der Nazi-Verfolgung entkommenen, heute hochbetagten Menschen stehen im Mittelpunkt von Plöchls Dokumentarfilm Wo man singt, da lass dich nieder von 2017 (Schnitt: Iklim Doğan, Kamera: Laura Ettel), dessen Material nun zur Grundlage einer Performance wurde.

Da war ich nicht mehr da hatte im März 2022 Uraufführung in Wien, fiel aber bald der Pandemie zum Opfer und erlebt nun seine verdiente Wiederaufnahme im Werk X am Wiener Petersplatz.

Münder über Münder

Die Besonderheit: Plöchl stellt sich selbst als Projektionsfläche zur Verfügung. Dabei überziehen die Gesichter der interviewten, erzählenden Personen dasjenige der live auf der Bühne agierenden Schauspielerin. Augenbrauen legen sich über Augenbrauen, Münder über Münder. Bemerkenswert ist die dabei zwangsläufig entstehende Unschärfe, die das filmische, sozusagen authentische Dokument relativiert beziehungsweise erweitert. So sprechen die Stimmen aus einer filmischen Maske, in der sich Zeitzeuginnen und Nachgeborene visuell überlappen.

Zur Sprache kommen markante Erinnerungen, dass etwa der mit seinem Loreley-Lied in den Schulbüchern der Nazizeit abgedruckte Heinrich Heine als "Dichter unbekannt" vermerkt wurde – weil er Jude war.

Angeregt zu ihrer Film- und Bühnenarbeit wurde die in Paris und Bern ausgebildete Schauspielerin und Regisseurin durch ihre mehrjährige Arbeit in oberösterreichischen Seniorenheimen und die Frage, ob es im fortgeschrittenen Alter Verzeihung geben kann. (afze, 11.1.2023)