Da soll noch wer behaupten, die ÖVP habe sich nicht von ihrem gefallenen Helden abgenabelt: Sebastian Kurz hätte wohl nie eine Regierungsklausur ohne Brimborium um (vermeintliche) Schlüsselprojekte abgeschlossen. Sein Nachnachfolger hingegen machte wenige Anstalten, die Resultate des dieswöchigen Stelldicheins der Koalition aufzubauschen. UVP-Verfahren, PV-Anlagen, Terawattstunden: Beim Statement vor den Medien verlor sich Karl Nehammer rasch in technischen Ausführungen, die sich kaum in Schlagzeilen fassen lassen.

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Doch man soll von der Verpackung nicht auf den Inhalt schließen. Gerade in Mauerbach am Westrand Wiens, wo sich bereits früher Regierungen trafen, hat die Öffentlichkeit schon Luftschlösser präsentiert bekommen. In Erinnerung ist Kurz’ ungustiöse Mindestsicherungsreform, der die Höchstrichter glücklicherweise die Luft ausgelassen haben.

Für die diesjährige Klausur trafen sich die Regierungsmitglieder in Mauerbach.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Arbeit vor Inszenierung

Es schien, als wollte die aktuelle Regierung da bewusst einen Kontrapunkt setzen. Arbeit gehe vor Inszenierung: So haben ÖVP und Grüne ihren Auftritt, äh, inszeniert. Doch löst das, was die von einer Imagekrise geplagten Partner beschlossen haben, diesen Anspruch ein?

Das Kernstück der Klausur, der Ausbau der erneuerbaren Energie als Alternative zu (russischem) Öl und Gas, birgt Substanz, das gilt etwa für die aufgefettete Förderung für Photovoltaik. Aus Perspektive der Koalitionäre ist jedoch zu befürchten: Der "Turbo", von dem da die Rede ist, wird kaum auch die eigenen Sympathiewerte umfassen. Dass Energie uneingeschränkt fließt, sieht das Gros der Wähler wohl als Selbstverständlichkeit an. Das Ausbleiben des befürchteten Gasnotstands im laufenden Winter hat ja auch nicht das Vertrauen in die Regierung gestärkt.

Ähnliches gilt für das zweite Projekt, das die Regierung unter Dach und Fach gebracht hat. Die Verschärfung des Korruptionsstrafrechts ist, ohne die Details zu kennen, löblich – aber angesichts von Ibiza und den ÖVP-Affären auch eine verdammte Pflicht. Sonderapplaus ist da ebenso wenig zu erwarten.

Arbeitskräftemangel

Fast nichts Handfestes liegt hingegen bei der Bekämpfung des Arbeitskräftemangels vor. Die Koalitionäre sind über Kreuz, und was die ÖVP fordert, ist in sich nicht schlüssig: Sollen Arbeitnehmer mit Steuerbegünstigungen zu noch mehr Überstunden bewegt werden, hintertreibt dies das Ziel, dass sie bis in ein höheres Alter im Job durchhalten.

In der anstehenden Arbeitsgruppe ist zu befürchten, dass sich die Regierung auf einem Nebenschauplatz verzettelt. Aus gutem Grund weist Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrats, darauf hin, dass anderes "viel wichtiger" wäre: Qualifikation für junge Arbeitskräfte und der Ausbau der Kinderbetreuung, um Frauen mehr Erwerbsarbeit zu ermöglichen.

Lange Liste an unerfüllten Vorhaben

Vom Klimaschutz- bis zum Informationsfreiheitsgesetz lässt sich die Liste der Vorhaben, die auf sich warten lassen, lange fortsetzen. Regierungsvertreter kontern diesbezügliche Nachfragen gerne mit Hinweisen auf die bisherige Bilanz: Nicht zu Unrecht reklamiert Nehammer, dass der Koalition viel mehr gelungen ist, als ihr unterstellt wird. Doch das Gedächtnis der Wähler ist kurz, kaum jemand hakt To-do-Listen ab. Für ihr Finale bis zum geplanten Wahltermin im nächsten Jahr werden ÖVP und Grüne große gemeinsame Projekte brauchen, um das Selbstbild der Arbeitskoalition zu unterfüttern. Bei ihrer Klausur haben sie davon zu wenig präsentiert. (Gerald John, 12.1.2023)