Pantomime, Kampfsport, Zauberkunst: Das Aktionstheater Ensemble operiert in "Die große Pension Europa Show" mit vielen darstellerischen Mitteln – und kraftvoller Musik.

Foto: Gerhard Breitwieser

Wien – Das Vorarlberger Aktionstheater Ensemble, 1989 gegründet, schöpft die Themen seiner Stücke direkt aus der eigenen Gruppe. So konsequent macht das niemand. Die unmittelbaren Erfahrungen, Herausforderungen, Meinungen, Perspektiven sowie eigens Recherchiertes bilden dann eine wilde Materialmischung, die Autorin Claudia Tondl anschließend in Form bringt.

Diese Arbeitsweise, bei der eben nicht von einem fertigen Stück ausgegangen wird, beansprucht viel Probenzeit, dafür wirken die Inszenierungen von Regisseur Martin Gruber auch immer im besten Sinne roh. Selbst dann, wenn, wie beim seit Mittwoch im Werk X in Wien zu sehenden aktuellen Doppelabend Diegroße Pension Europa Show, alte Arbeiten wiederverwendet und weiterentwickelt werden.

Sechsköpfige Band

Höchstpersönliche, sagen wir: relativ kleine, Probleme (Gewichtszunahme, störende Muttermale) wechseln sich in einem collagehaften Dauerfeuerwerk frontaler Deklamationen mit schwerwiegenden geopolitischen Dilemmata ab. Dabei nimmt Gruber die bequeme mitteleuropäische Wohlstandsperspektive zugleich ernst wie auch kritisch ins Visier. Immer dann etwa, wenn es um Afrika geht, prahlen die unter ihren zivilen Vornamen agierenden Performerinnen vorsätzlich engagiert, in Wahrheit aber überheblich vor allem mit Nichtwissen.

Die einzelnen kleinen Storys, angefeuert von einer sechsköpfigen, sympathischen Band mit Kontrabass, konkurrieren mit den Darstellenden um Geltung und Gültigkeit – jede und jeder will eben recht haben und gehört werden. Zu allem gibt es eine Meinung. Vom Urinieren in öffentliche Brunnen geht es weiter zum Stuhlgang, und da nimmt sich das Aktionstheater selbst auf die Schaufel, wenn es eine Geld-Defäkier-Performance erzählerisch-pantomimisch imaginiert.

Sektflaschen ohne Ende

In puncto Flüssigkeit speist sich der Abend aus einem nicht versiegenden Sektdepot und läuft im zweiten Teil auch auf eine prickelnde Geburtstagsshow hinaus. Babett (Babett Arens) feiert ihren 60er, und hier wird noch einmal vorgeführt, wie unverschämt groß hier die Egos sind. Im manischen Wechsel der Ballroben lenkt Host Michaela Bilgeri die Aufmerksamkeit immer wieder auf sich statt auf das Geburtstagskind, ein clowneskes Unterfangen, in dem wiederum ein stoischer Zauberkünstler (Raphael Macho) um Publikum buhlt: Er lässt unter anderem billigen Rotwein aus einer gefalteten Gratiszeitung rinnen. Top!

Schließlich hält noch Autor Elias Hirschl ein Plädoyer für das Blutspenden (gegen die Spaltung der Gesellschaft), doch selbst ihn wollen die zwei Schreckensconférencieusen von der Bühne drängen. Schadenfreude, durchschaubare Manöver, offenherzige Übervorteilung und ein dynamischer Schnitt machen die Show kurzweilig. (Margarete Affenzeller, 13.1.2023)