Künstliche Intelligenz (KI) könnte bald eine ähnliche Wirkung entfalten wie das World Wide Web in den vergangenen Jahrzehnten: ein Serientäter, der alles verändert, das er berührt, und ganze Branchen auf den Kopf stellt. Das sieht auch Bill Gates so – der Microsoft-Gründer bezeichnete KI auf der Plattform Reddit zuletzt als revolutionär und erwartet, dass sie einen gewaltigen Effekt auf unser Leben haben wird.

Nun kann freilich auch Gates, einst der reichste Mensch der Welt, falschliegen. Aber aktuelle Entwicklungen scheinen seine Thesen zu untermauern. So sorgte die kostenlose Text-KI Chat GPT zuletzt für Kopfzerbrechen unter Lehrkräften, weil sie Hausübungen in wenigen Sekunden löste. Forschende ließen Abstracts von KIs erstellen, mit denen sie ihre Peer-Reviewer täuschten. Und auf derStandard.at erscheint dieses Wochenende eine von einer KI erstellte Kolumne, die in ihrer Qualität der eines menschlichen Autors kaum nachsteht.

Künstliche Intelligenz könnte ganze Branchen auf den Kopf stellen.
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Doch die Revolution beschränkt sich nicht auf den Textbereich. Längst managen Algorithmen Warenströme oder bestimmen, welche Inhalte in sozialen Medien ausgespielt werden. In ersten Versuchen können KIs 3D-Modelle auf Sprachbefehl erstellen, ebenso experimentiert die Musikindustrie: Klassische Musik lässt sich bereits gut damit komponieren, an verzerrten E-Gitarren beißt man sich noch die Zähne aus. Bilder werden bereits von KIs erstellt, Videos folgen bald. Erste KIs können Angeklagte mit passenden Antworten bei Gerichtsprozessen unterstützen. Und in einer Studie des IE Center for the Governance of Change befürworteten 51 Prozent von 2769 befragten Europäern, Parlamentarier teils durch Algorithmen zu ersetzen.

Gewaltige Entwicklungsschritte

All dies ist erst der Anfang, und es ist davon auszugehen, dass wir in den kommenden Monaten und Jahren noch gewaltige Entwicklungsschritte sehen werden – nicht zuletzt, weil viel Kapital in dieses Feld fließt. Von diesem Umbruch werden vor allem Schreibtischjobs in der Old Economy betroffen sein, sei es der Journalist in der Tageszeitung oder die Grafikerin in der Werbeagentur.

Doch auch in der rund 40 Jahre alten sogenannten New Economy könnten die Karten neu gemischt werden: Erste Konkurrenten wollen KI einsetzen, um Platzhirsch Google den Rang abzulaufen. Klingt unmöglich? Vor rund 15 Jahren wurde auf Konferenzen diskutiert, wie man Nokias Monopol im Handymarkt brechen könne; heute kräht kein Hahn mehr nach den Finnen. Indes arbeitet Microsoft daran, KI in Word zu integrieren, um dort automatisch Texte generieren zu lassen. Das ist praktisch, wird aber viele menschliche Tätigkeiten obsolet machen.

Düstere Vorzeichen für den Jobmarkt? Nicht unbedingt. "Adapt or die", lautet ein beliebter Stehsatz unter Digitalmanagern: anpassen oder sterben. Und so wird KI künftig zwar noch mehr menschliche Tätigkeiten übernehmen, gleichzeitig aber wird der Bedarf an neuen Jobs wachsen. Etwa wird es den "Prompt-Manager" brauchen, der die KI mit den richtigen Befehlen – "Prompts" – füttert, damit sie bestmögliche Ergebnisse liefert. Diese müssen von Menschen geprüft und korrigiert werden.

Und, was oft vergessen wird: Die KI weiß nur, was sie zuvor gelernt hat, sie kann also voreingenommen, rassistisch und sexistisch sein. Das wird die Politik in den kommenden Jahren beschäftigen. Auch dort werden wir also weiterhin Menschen brauchen. (Stefan Mey, 15.1.2023)