Sisi mit Sichtschutz im Film "Corsage": eine Metapher für das Wegschauen, das bislang in der Filmbranche zu oft praktiziert wurde?

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Roland Teichmann (Jg. 1970) ist seit 2004 Direktor des Österreichischen Filminstituts, das für die Förderung von Kinofilmen verantwortlich zeichnet.

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Roland Teichmann leitet seit fast zwanzig Jahren das Österreichische Filminstitut (ÖFI), die zentrale Förderstelle für den heimischen Kinofilm. Ausgelöst durch die Diskussionen über Kinderschutz und MeToo ist die Filmbranche jüngst stark in Erklärungsnot geraten. Im STANDARD-Interview steht ÖFI-Direktor Teichmann Rede und Antwort.

"Das generelle Diskreditieren oder Kriminalisieren der Branche halte ich für verfehlt."

STANDARD: Innerhalb des letzten halben Jahres gab es drei große Themen in der Filmbranche: MeToo, die Kinderschutzdiskussion wegen des Filmdrehs von Sparta und die Strafanzeige gegen Florian Teichtmeister, der im Oscar-Kandidaten Corsage mitspielt. Ist die heimische Filmbranche ein Sodom und Gomorrha?

Teichmann: Natürlich ist sie das nicht. Das Fatale und das Frustrierende an dieser Diskussion ist, dass für die Verfehlungen einiger weniger eine ganze Branche in Misskredit gerät. Das generelle Diskreditieren oder Kriminalisieren der Branche halte ich für verfehlt. Dass dieser Außeneindruck insbesondere aufgrund dieses extrem verwerflichen und plakativen Falls des Herrn Teichtmeister entsteht, ist jedoch nachvollziehbar.

STANDARD: Hat die Filmbranche bisher Täter geschützt?

Teichmann: Das entspricht nicht meiner Wahrnehmung.

STANDARD: Und doch wird kritisiert, dass Täter nicht benannt werden und dass ein Mantel des Schweigens um Übergriffe gehüllt wird.

Teichmann: Anschuldigungen erfolgen meist anonym, und die Anonymität schützt in gewisser Weise. Deswegen halte ich Transparenz für extrem wichtig. Was auf keinen Fall passieren darf, ist, dass man die Dinge unter der Decke hält. So unangenehm es ist, das muss man aushalten.

STANDARD: Liegt das Problem nur darin, dass keine Namen genannt werden? Gibt es kein strukturelles Problem in der Branche?

Teichmann: Ich halte es für notwendig, die Unkultur des Schweigens, die natürlich oft aus Abhängigkeiten heraus entsteht, zu überwinden. Das ist nicht einfach, menschlich und auch weil mögliche rechtliche Konsequenzen drohen. Alles, was dazu beiträgt, Missstände zu beseitigen, ist gut. Es ist aber kein spezifisches Problem des Films, nur wird es hier gerade besonders sichtbar.

STANDARD: Seit 2021 gibt es den "Code of Ethics", der nun ergänzt und in der Filmförderung festgeschrieben wurde. Ist der schärfere Blick auf ethische Maßstäbe zu spät erfolgt?

Teichmann: Wir haben zu einer Zeit mit dem "Code of Ethics" auf Probleme reagiert, in der sie in diesem Ausmaß noch gar nicht bekannt waren. Insofern waren wir relativ früh dran, aber insgesamt betrachtet wahrscheinlich zu spät, weil vieles bereits passiert war.

"Wir müssen gewisse Grundstandards verlangen. Gerade das Set soll ein geschützter Ort sein."

STANDARD: Hat der erste "Film Gender Report" von 2018 in diesem Prozess eine Rolle gespielt?

Teichmann: Der "Film Gender Report" hat die Sensibilität erhöht und dazu beigetragen, eine gewisse Form der Gerechtigkeit und der Transparenz zu erwirken. Das ÖFI hat die Aufgabe, unabhängige Filme und freies, unzensiertes Filmschaffen zu ermöglichen und sich nicht einzumischen. Wir müssen aber gewisse Grundstandards verlangen. Gerade das Set soll ein geschützter Ort sein. Alle, Frauen, Männer und insbesondere Kinder und Jugendliche, sollten ein sicheres Umfeld vorfinden, in dem sie sich künstlerisch ausdrücken können, ohne dass es Druck, Zwang, Beleidigung, Missbrauch, Einschüchterung und Diskriminierung gibt.

STANDARD: Was wurde speziell für Filmdrehs mit Minderjährigen beschlossen?

Teichmann: Einen speziellen Beschluss gibt es nicht. Die gesetzlichen Regelungen existieren ja bereits.

STANDARD: Deren Einhaltung wird aber nicht kontrolliert.

Teichmann: Das Filminstitut kann die Einhaltung der Gesetze vor Ort nicht kontrollieren, aber es ist klarer Vertragsbestandteil, dass die Produktionsfirmen dafür verantwortlich sind. Wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass einzelne rechtliche Vorgaben nicht eingehalten wurden, hat die Produktionsfirma die Verantwortung dafür zu tragen.

STANDARD: Wurden die nunmehr verschärften Standards des "Code of Ethics" bei der Prüfung von Sparta berücksichtigt? Der Vertrag mit der Seidl Filmproduktion wurde ja bereits 2016 abgeschlossen.

Teichmann: Sie wurden im Aufsichtsrat und intern im Institut diskutiert, aber die Prüfung hat sich nur auf die rechtlichen Aspekte des Vertrags bezogen.

STANDARD: Wäre es nicht, auch hinsichtlich der Tatsache, dass Florian Teichtmeister an manchen Filmsets Fotos von Minderjährigen gemacht hat, notwendig, dass man speziell den Kinder- und Jugendschutz in die Förderrichtlinien aufnimmt?

Teichmann: Das wäre eine Möglichkeit, aber ich glaube, es ist nicht nötig, weil wir in diesem Punkt extrem sensibilisiert sind. In erstaunlich vielen neuen Projektanträgen sind Kinder dabei, und Sie können zu 100 Prozent sicher sein, dass wir extrem genau hinschauen. Es ist sogar schon so weit, und das ist bei dieser Tragik ein positiver Aspekt, dass die Projektanträge mit Minderjährigen bereits sehr ausgefeilte Betreuungskonzepte inkludieren.

"Als das Posting von Katharina Mückstein vor der Wien-Premiere von 'Corsage' publik wurde, habe ich den Namen der anderen Person aufgeschnappt."

STANDARD Zurück zu Corsage: Das ÖFI finanziert die Oscar-Promotion des Films?

Teichmann: Ja, jeder Film, der für die Oscars ausgewählt wird, bekommt von uns finanzielle Unterstützung, damit er entsprechend wahrgenommen wird.

STANDARD: Über Teichtmeister gab es seit 2021 anonymisierte Berichte, Gerüchte und Gespräche mit Verantwortlichen. Es heißt, dass es sich um ein offenes Branchengeheimnis gehandelt habe. War es Ihnen bekannt?

Teichmann: Grundsätzlich werden Informationen, die in der Branche kursieren, nicht offensiv an Förderpartner herangetragen. Ein Gespräch mit uns hat nicht stattgefunden. Als das Posting von Katharina Mückstein vor der Wien-Premiere von Corsage publik wurde*, habe ich den Namen der anderen Person aufgeschnappt.

STANDARD: Wenn solche Vorwürfe existieren und zirkulieren, ist es dann weise, den Film ins Oscar-Rennen zu schicken, in der Hoffnung, dass nichts herauskommt?

Teichmann: Corsage ist einer der herausragendsten Filme der letzten zehn Jahre, ihn nicht zu berücksichtigen wäre ein Fehler gewesen. Ich weiß allerdings nicht, mit welchem Wissen diese Entscheidung von dem Auswahlgremium unter der Ägide des Fachverbands getroffen wurde.

STANDARD: Denken Sie, dass Filme, in denen Personen mitwirken, die straffällig geworden sind, aus dem Verkehr gezogen werden sollten?

Teichmann: Man sollte sich das im Einzelfall ansehen: Um welchen Film geht es? Was ist das Thema? Welche Rolle spielt die betreffende Person? Welche Straftat hat die Person begangen, und wie steht das in Zusammenhang mit dem Film? In einer Gesamtbetrachtung des Einzelfalls würde ich entscheiden, aber nicht grundsätzlich.

STANDARD: Was sind die Lehren, die Sie aus MeToo und den Diskussionen um Sparta und den Fall Teichtmeister gezogen haben?

Teichmann: Mehr Kommunikation, vor allem mit unseren Vertragspartnern. Gegenstand des "Code of Ethics" ist, dass wir alle Produktionsfirmen dazu ermutigen, ihre Mitarbeitenden über ihre Rechte zu informieren und eine unabhängige Ansprechstelle zu gewährleisten. Auch an das ÖFI kann man sich wenden, wenn es konkret darum gehen sollte, Personen vom Set zu entfernen, und dadurch Mehrkosten entstehen. Das Letzte, was passieren darf, ist, dass man die Dinge verschweigt und wegdrückt. (Valerie Dirk, 19.1.2023)