Es grüßt das VHS-Kassettenzeitalter mit einer Bühnenadaption von Lars von Tiers "Hospital der Geister"-Serie.

Foto: Lex Karelly

Lars von Triers Krankenhausseifenoper "Hospital der Geister" fügte sich prächtig in die mentale Landschaft der 1990er. Die dänische Mystery-Serie machte nicht nur dem Renommee von Schwarzwald-Doktoren und Klinikärzten endgültig den Garaus. Errichtet wurde das "königliche Reichskrankenhaus" zu Kopenhagen – es existiert wirklich – auf giftig blubberndem Sumpfland, getränkt mit Bleichmitteln und dem Blut unschuldiger Kinder.

Doch nichts, was einstmals, durch die Umtriebe durchgeknallter Chefärzte, beseitigt schien, war damit auch wirklich aus der Welt geschafft. In zwei, späterhin drei Staffeln voller Arztkrawall und Geisterspuk erwies von Trier, im Verein mit Co-Autor Niels Vorsel, sein notorisches Geschick für alles Mysteriöse, außerweltlich Aparte. Acht Folgen "Emergency Room" für Jenseitsliebhaber: vollgepackt mit medizinalem Grusel, das Ganze abgedreht in einer allerdings ingeniösen, unentwegt an den (Geschmacks-)Nerven zerrenden Bildsprache – auch das gab es im Jahrzehnt von Grunge und "Akte X". Und feiert, weil nichts jemals vollständig verschwunden bleibt, im Grazer Schauspielhaus sein nicht mehr für möglich gehaltenes Comeback. Willkommen zurück, liebe Krankenhausgespenster!

Gutgemeintes Grinsen

Doch, oh weh: Der böse Manierismus des nachmaligen "Dogma"-Künstlers und Teufelsbeschwörers (und Hitler-Verharmlosers) von Trier muss sich auf dem Weg in die Steiermark in alle Himmelsrichtungen verflüchtigt haben. Regisseur und Projektleiter Jan-Christoph Gockel hat seine bunt und inklusiv zusammengewürfelte Truppe zu einem gutgemeinten Dauergrinsen verpflichtet.

Die unbedingt löbliche Absicht, das alte dänische Hospital ein weiteres Mal aufzusperren, hat die Beteiligten auf das Allerwichtigste vergessen lassen: den überschnappenden Irrsinn, das Berserkerhafte der Vorlage. Die Verlebtheit der Interieurs, die mit der Versehrtheit der Seelen um die Wette eiferte. Das peinigende Interesse an der Wiederkehr alles dessen, was eine vorgeblich auf Hygiene und Immunität verpflichtete Gesellschaft gewohnheitsmäßig verdrängt.

Dabei ist schon der Auftakt wundermild. Die taube und blinde Mitwirkende Tanja Hameter führt als gleichsam durchgeistigtes "Medium" rezitierend durch den vierstündigen Abend. Der legere Neurochirurg Krogen (Florian Köhler) schlägt sanft die Stromgitarre und hält sich, als eine Art Unterweltgott der Nachhaltigkeit, im Keller der medizinischen Einrichtung auf. Dort saugt er den Abfall auf, den der Betrieb so ausstößt, führt ihn den Bedürftigen zu.

Der Schrecken lässt nach

Der Abend nimmt wunderbar, auch humorig Fahrt auf. Man beäugt amüsiert die Meute der Weißkittel, die unter den cholerischen Anwandlungen ihres Beute-schwedischen Oberarztes Helmer (Franz Solar) rechtschaffen leidet. Die Bühne, gelegentlich überblendet von "echten" Fernsehbildern, geizt nicht mit Aufbauten (Ausstattung: Julia Kurzweg) wie Liftschächten oder gläsernen Seziersälen. Man fürchtet sich maßvoll vor dem aseptischen Charme gestrenger Schlaflabor-Leiterinnen (Evamaria Salcher). Die Dringlichkeit der allseits verwickelten Szenerie überschreitet aber nie die Grenze zur kinderärztlichen Untersuchung: Erst wird dem Stoff der Puls gefühlt, dann lässt der Schrecken auch schon wieder nach.

Die Nachforschungen der dauersimulierenden Patientin Drusse (versponnen: Beatrice Frey) fördern allerhand vergangenes Unrecht zutage. Die raffiniert verleimten Marionetten des Puppenbauers Michael Pietsch bedenken die Weißkittel rund um sie sehr nachvollziehbar mit Sehnsuchtsblicken: So mopsfidel wie das Krankenhauspersonal wären diese dämonischen Mischwesen – im Spiel gezeugt vom Geist eines Toten mit einer quietschlebendigen Ärztin – selber gerne.

VHS-Kassettenzeitalter

Ungefähr bei Folge sieben dieser Seifenoper ("Gargantua") wird man unwillkürlich von einem Abschaltimpuls gequält. Der zuständige Minister (Florian Finsterbusch) hat zu diesem Zeitpunkt das Spital inspiziert, Gevatter Tod war mit dem Sarg des vergifteten "Krogen" allerliebst im Kreis herumgefahren. Man fragt sich ernstlich, wer oder was Regisseur Gockel und sein Team zu dieser liebenswürdigen Ausgrabung aus dem VHS-Kassettenzeitalter inspiriert haben könnte. Alles ist stimmig – und erinnert in unbedingter Werktreue an den hoch kontaminierten Ausgangsstoff, ohne darüber waghalsig zu werden oder etwas zu riskieren.

"Das Reich: Hospital der Geister" ist die Medizin für eine Mangelerscheinung, die es nicht (mehr) gibt. Heute, wo man die Einsichten von Doktor Sigmund Freud immer öfter, immer ungenierter auf der Sondermülldeponie für ausgesonderte Inhaltsstoffe lagert. Ein merkwürdig inhaltsloser Abend. (Ronald Pohl, 22.1.2023)