Eine Frau (Sara Nunius) spaziert als Maria Magdalena durch fein säuberlich bereitgestellte weibliche Körperteile. Eine Brust fungiert als Hügel Golgota.

Birgit Gufler

Innsbruck – Die Entdeckungen der letzten Jahre zeigen, wie verankert sexuelle Gewalt und Missbrauch in hierarchisch geprägten Bereichen sind. Für den Sport hat die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg in einem STANDARD-Bericht vor fünf Jahren den Stein ins Rollen gebracht. Seither hat sich einiges geändert, der Skiverband und die Politik haben Konsequenzen gezogen. Andere Arbeitsfelder, nicht zuletzt die Kultur, ebenso. Seit 2021 ist Vera*, die Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt, aktiv.

Noch schneller war nur Elfriede Jelinek, sie hat ausgehend von den 2017er Erkenntnissen ein Theaterstück über den Umgang mit sexueller Ausbeutung und ihre Bedingungen beziehungsweise Bagatellisierung geschrieben. Schnee Weiß (Die Erfindung der alten Leier) hatte 2018 in Köln Uraufführung in der Regie des inzwischen designierten Burgtheaterdirektors Stefan Bachmann.

In Österreich schien bis vergangenen Samstag noch keine österreichische Bühne an dem Text Interesse zu haben, das Tiroler Landestheater hat es nun aber gewagt. Schnee Weiß feierte in einer beachtlichen und am Ende gar mit stehenden Ovationen bedachten Inszenierung Joachim Gottfried Gollers in den Kammerspielen in Innsbruck seine Österreich-Premiere.

Fernseher an der Leine

Jelinek bildet in diesem Stück die öffentlichen Diskussionen und Statements zu sexueller Gewalt in literarischer Erhöhung ab. Sie fräst sich durch Aussagen aus Fernsehen, Zeitungen, Gericht und tut damit das, was sie immer tut: "den Leuten ihre eigene Sprache zurück ins Maul stopfen". Herauskommt ein Gedankenstrom, in dem sich sowohl die Sprechenden als auch die Meinungen in Windeseile abwechseln und gegeneinanderknallen.

Schon das – allzu echauffiert überbrachte – Intro hat es in sich. In Gollers Inszenierung kommt dazu eine mit schlohweißer Mähne markierte Jelinek-Figur (Janine Wegener) selbst herein und zieht ein altes Fernsehgerät am Kabel hinter sich her. Sie trägt auch einen schweren Packen Zeitungen, von dem laufend Exemplare hinunterfallen, aber egal, Informationen gibt es ohnehin mehr als genug.

Der junge Südtiroler Regisseur, soeben war er erstmals Nestroypreis-nominiert, lässt diesem unsicher gepflasterten Redeparcours eine gute szenische Ordnung angedeihen. Er schafft klare Setzungen, inspiriert auch durch Jelineks eingewobene Bezüge zu Oskar Panizzas Groteske Das Liebeskonzil (1894), in dem sich Himmel- und Höllenpersonal über die sexuell übertragbare Syphilis streiten. Der Hügel Golgota ist ein Busen, und auf weiteren interessanten Körperteilen (Bühne: Julia Neuhold) turnt Maria Magdalena (Sara Nunius) herum. Jesus (Ulrike Lasta) indes erzählt vom Leid ganz aus seiner Perspektive. In weiteren Rollen: Christine Constanze Polzer und Stefan Riedl.

Gut geschmiert

Alles beginnt aber mit einem Almabtrieb. Über die leere dunkle Bühne schreiten die mit hochaufragendem Blütenkopfschmuck ausgestatteten blöden Kühe: Sie tragen adrette Dirndlkleider. Wir sind also mittendrin in Jelineks unendlichen Kalauerbahnen, die nichts als das ganz Alltägliche ausstellen. Schnell einmal ist eine Frau eine blöde Kuh.

Später heißt es zur Vertuschungstendenz: "Der Verband erreicht immer, was er will, doch ihn erreicht nie etwas." Oder: "Ein 17 Jahre altes Mädchen zu vergewaltigen, das wiegt schwer, doch wer gut schmiert, der gut fährt."

Perchtenauftritt (Florian Granzner), Gott (Tom Hospes) händeringend am Hochstand ("Ich hab keine Läufer mehr!"), ein Tänzchen zu chauvinistischen Schlagertexten, ein Rennfahrerchor etc. – Goller erfindet die Jelinek-Illustrationskunst nicht neu, macht die Suada aber auf hellsichtige, unverbrauchte Weise lebendig. Bis zum Schluss bleibt das szenische Setting frisch und frei von einkesselnder Bildgebung.

Das ist auch deshalb wichtig, weil es Jelinek ja nicht um einen Einzelfall und den Sportbereich alleine geht, sondern sie geschlechterpolitische Rückständigkeit deklariert bzw. die Denunzierbarkeit von Frauen vor Augen führt: "Die Frau wird als Mann zweitrangig gesehen, weil sie keiner ist." (Margarete Affenzeller, 24.1.2023)