Fühlt sich in Wien wie daheim ("mein Kulturraum"): Der designierte Intendant Milo Rau.

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Wien – Milo Rau, der ab Juli auf den scheidenden Festwochen-Intendanten Christophe Slagmuylder folgen wird, zeigt sich im STANDARD-Gespräch um keine Zugeständnisse an das Wiener Publikum verlegen. Der frischgebackene 46-Jährige gesteht als Festivalmacher einen "populistischen Zugriff" ein und weiß, dass ihm Wien und dessen Kulturraum liegen.

STANDARD: Wodurch unterscheiden Sie sich am meisten von Noch-Intendant Christophe Slagmuylder?

Rau: Am allermeisten dadurch, dass ich selber Theatermacher bin. Die Entscheidung wurde bewusst gefällt, das Modell eines kuratierten Festivals zugunsten eines Machers aufzugeben. Ich unterscheide mich von anderen Intendanten auch, indem ich einen gesamtkünstlerischen Ansatz vertrete. Das heißt, ich zeichne mich nicht durch einen besonderen Geschmack aus. Ich würde sogar sagen, wenn man selber Macher ist, hat man im Grunde keinen Geschmack. Ich will das sehen, was andere auch sehen wollen.

STANDARD: Publikum ging verloren. Wie wollen Sie es zurückgewinnen?

Rau: In der Hinsicht habe ich einen gewissermaßen populistischen Zugriff. Ich will, dass die Leute meine Sachen annehmen. Lieber ist es mir noch, sie hassen es, als sie lieben es, denn es ist besser, es gibt eine Debatte. Ich bin extrem darauf angewiesen, dass es ein Echo gibt. Die Kunst findet heute oft in abgeschlossenen White-Cube-Räumen statt, das ist nicht einladend. Und schließlich: Wien liegt mir, die Stadt ist für mich als Ostschweizer auch mein Kulturraum. Es gibt hier eine starke Verbundenheit zwischen U- und E-Kultur, das liegt mir.

STANDARD: Was steht für Sie im Zentrum der Programmierung?

Rau: Ich bin ein Freund der Geschichten, der Nacherzählbarkeit, auch der Radikalität. Nennen wir es statt Sprechtheater lieber Erzähltheater, ein Theater, das man versteht und das eine große emotionale Kraft birgt. Das heißt aber nicht, dass es daneben nicht völlig abgedrehte Experimente geben kann. So ein Festival ist ein Freiraum, wo vieles nebeneinanderstehen kann.

STANDARD: Das heißt mehr Sprechtheater als Performance?

Rau: Man kann zu so vielem Performance sagen, auch zu meinen Inszenierungen, es sind aber zugängliche Positionen. Ich wurde sogar oft dafür kritisiert, dass ich immer sehr klares Theater programmiere. Ein Theater, das man nur versteht, wenn man selber ein Kunststudium gemacht hat, da bin ich allein aus politischen Gründen dagegen. Ich glaube nicht an den Akademismus. Das Publikum hat immer recht.

STANDARD: Werden Sie Programmdirektoren installieren?

Rau: Ich werde mit Dramaturginnen und Kuratoren arbeiten. Wien liegt am Eingangstor zum Osten, ich brauche also Osteuropaexperten. Bei Musik bin ich ebenfalls schon im Gespräch mit Kuratoren. Das heißt aber nicht, dass ich nicht meine Vorstellungen einbringen werde.

STANDARD: Wie viel werden Sie selber inszenieren?

Rau: Ich werde zwei Arbeiten pro Jahr selber machen. Geplant ist eine Eigenproduktion hier vor Ort und eine internationale Koproduktion.

STANDARD: Eine gewisse Grandezza erzielen die Wiener Festwochen mit der Einladung internationaler Stars. Haben Sie da schon Ideen?

Rau: Ich hätte gern viele Stars. Wir haben in Gent immer auf Stars gesetzt, etwa mit Isabelle Huppert. Der Trick ist meiner Ansicht nach, dass man Stars findet, die plötzlich etwas anderes, Überraschendes machen. Zum Beispiel Marina Abramović, die plötzlich eine Oper inszeniert. Das interessiert dann ganz besonders. (Margarete Affenzeller, 27.1.2023)