Dann und wann stirbt bei südkalifornischen Ölbohrungen ein Pumpenmeister, den es zu betrauern gilt: Ruth Watkins (Irem Gökçen) mit leuchtendem Kreuz vor ölverschmierter Plastikwand.

Foto: Marcel Urlaub/Volkstheater

Es ist ein weiter, verschlungener Weg vom kalifornischen Ölmagnaten Arnold Ross (Andreas Beck) und seinen rasch wachsenden Bohrtürmen anno 1912 bis herauf in die Gegenwart zur Aktivistin Paula Watkins (Lavinia Nowak), die die Verantwortlichen global agierender Erdölkonzerne namentlich zur Rechenschaft zieht. Im Volkstheater Wien treibt Regisseur Sascha Hawemann die Szenenwechsel im Stück Öl! kräftig voran. Insbesondere drückt die Musik aufs Tempo – und das meint hier ein auch von Schauspielern respektabel bedientes Livemusikset im Orchestergraben, geleitet von Xell.

In dem von der österreichischen Schriftstellerin Hermynia Zur Mühlen im Erscheinungsjahr 1927 erstmals ins Deutsche übersetzten prophetischen Roman Öl! von Upton Sinclair stehen kapitalistische Interessen sozial- und umweltpolitischen entschieden im Weg. Und sie tun dies mit wachsender Kluft bis heute: Die Bühnenfassung von Sascha Hawemann und Anne-Kathrin Schulz verlängert das Dilemma vom ersten Ölförderboom der vorletzten Jahrhundertwende über mehrere signifikante Stationen herauf bis ins Heute. Nicht eine Chronologie steht dabei im Zentrum, sondern die kriegswirtschaftlichen und geopolitischen Aspekte petrochemischer Industrie und ihre Schauplätze.

Nicht ohne Menschenopfer

Die Romanfiguren werden dabei zu Anwälten jeweiliger Sichtweisen: Daddy Ross mit breitkrempigem Cowboyhut (Beck) riecht auf südkalifornischem Farmland förmlich das unterirdische Öl und vermag es mit riskanten und nicht ohne Menschenopfer erfolgenden Bohrungen rasch Geld zu machen. Sohn Bunny (Elias Eilinghoff) teilt die Faszination, ist aber zugleich angetan von der sozialistischen Farmerstochter Paula Watkins (Nowak; im Original männlich), in deren harten Gesten und Blicken schon eine künftige Vertreterin der Letzten Generation schlummert. Mutter (Friederike Tiefenbacher) und Schwester (Irem Gökçen) hat sie an die Religion verloren.

Dieses Figurengerüst – weiters: Uwe Schmieder und Frank Genser in wechselnden Rollen – ist in einen Erzähltheaterabend eingespannt, der weit über die Romanhandlung hinausgeht und mit einem Prolog beginnt, in dem ein gerade harpunierter Wal an der norwegischen Küste zu uns spricht. Er liegt in unkaschierter Gestalt Samouil Stoyanovs entspannt in der Rundung eines riesigen Ölfasses von 1847 und raucht.

Der Botschaft applaudieren

Sein Tranfett, das nicht vegane Öl, wird im großen Stil bald durch Erdöl ersetzt werden. So unvorhergesehen und theatralisch wie dieser Kameraschwenk wird die Inszenierung nicht bleiben. Sie hat an der eigenen Botschaft, der Anklage einer ganzen Industrie und ihrer Unverantwortlichkeit, schwer zu schleppen und endet erwartungsgemäß in der Akklamation des er- und bekannten Schreckens.

Ölverschmierte Möwen klatschen dann vom Schnürboden auf den Boden; Rauch und Flammen brennender Ölfelder verdüstern auf der Videoleinwand ganze Landstriche (Video-Art: Marvin Kanas), Nebel flutet die Bühne.

Regisseur Hawemann (zuletzt am Volkstheater: Erniedrigte und Beleidigte) setzt großes Getriebe in Gang: Plastikwände fahren herunter; ein riesiges Ölfass verlängert sich mittels transparenter Folie zum unendlichen Schlauch; auf einer Rollbühne kommen ein Krankenhausbett und ein den Erleuchtungs- oder Verzweiflungsgrad der Farmerfamilie symbolisierendes Kreuz herangefahren (Bühne: Wolf Gutjahr).

Wiener Becken

Die Erdölgeschichte hat auch europäische Schauplätze: Sie führen von einer verquasten Rede des Kanzlers Dollfuß (Stoyanov) 1933 inmitten von Erdölfeldern im Wiener Becken über die Opec-Geiselnahme 1975 in Wien bis hin zum kroatischen Dorf Deletovac 1991, das für seine Erdöl- und Erdgasvorkommen bekannt ist und das während der Jugoslawienkriege von der serbischen paramilitärischen Einheit namens Scorpions besetzt war. Von den Scorpions ist man musikalisch schnell bei Iron Maiden, und da lässt es das Volkstheater richtig krachen.

Viel Botschaft, wenig Theater? Keineswegs. Als aufklärerischer Abend nützt Öl! das Theater zwar weitgehend als bloßes Vehikel mit kunstgewerblichen Schüben. Es rafft sich aber immer wieder auf und macht Mätzchen, die wirken. Kurzum: Hawemann reichert die unerbittliche Anklage mit Slapstick, Karikaturen und Groteskem an. (Margarete Affenzeller, 30.1.2023)