Im Community-Artikel beschreibt Ökonom Stefan Trappl eine wirtschaftliche Dynamik, die zu mehr und mehr Schwierigkeiten führt.

Seit Jahren wird über die Unterfinanzierung im öffentlichen Sektor diskutiert. Egal ob Sicherheit, Bildungssystem oder Pflege- und Krankenversorgung – alle Bereiche leiden nach eigenen Angaben schon seit Jahren unter zu geringer finanzieller Ausstattung. Über konkrete negative Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit der Bevölkerung wird immer wieder punktuell berichtet, allerdings blieb das Problem in der öffentlichen Wahrnehmung ein eher untergeordnetes.

Der Mangel an Personal im Gesundheitsbereich wird immer problematischer. Rein durch Einsparungen lässt sich dies nicht beheben.
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Nun scheint aber im Gesundheitsbereich ein neues Ausmaß erreicht zu sein. Seit Monaten gibt es einen Medikamentenmangel. Der nichtstationäre Pflegebereich wird seit Jahren nur mehr durch Pflegekräfte aus Osteuropa aufrechterhalten. Am aktuellsten aber: Zum wiederholten Male wird berichtet, dass öffentliche Krankenanstalten ihrer Arbeit nur mehr eingeschränkt nachgehen können, einzelne Abteilungen sogar vorübergehend schließen müssen. Als Grund hierfür wird der Personalmangel genannt. Dafür gibt es wiederum mehrere verschiedene Gründe: demografische Veränderungen oder eben mangelnde Attraktivität des Berufsfeldes.

Faktum ist, dass es aktuell zu einer Überschussnachfrage in vielen Bereichen des Gesundheitswesens kommt. Zum Beispiel kommen auf offene Stellen vor allem im Pflegebereich und bei offenen Kassenärzte-Stellen zu wenige geeignete Bewerber und Bewerberinnen. Bei Überschussnachfragen führen üblicherweise Preiserhöhungen dazu, dass die Anzahl der Anbieter steigt und ein Marktgleichgewicht wieder eintritt. Im Fall des Gesundheitswesens würde das bedeuten: Um das Angebot an Medikamenten, Kassenärzten und Kassenärztinnen sowie Pflegekräften zu erhöhen, müssen höhere Preise beziehungsweise Gehälter bezahlt werden. Nur: Dafür fehlen schlicht die finanziellen Mittel.

Eine Frage des Sparens?

Zusammengefasst: Das Gesundheitswesen leidet unter einem Finanzierungsproblem. Man kann also versuchen, höhere Einnahmen zu generieren, was weitgehend nur durch Beitragserhöhungen oder steuerfinanziert möglich ist. Oder aber man spart an anderen Stellen des Gesundheitssystems. Ähnliches wird schon seit Jahren versucht: von Strukturreformen, die die Verwaltungskosten drastisch reduzieren sollten, über die Fusion von Abteilungen oder ganzen Krankenanstalten bis schließlich zur Zusammenlegung der Krankenkassen. Dass es hier Einsparungspotenzial gibt, ist sehr wahrscheinlich, wie hoch dieses ist, ist auch unter Gesundheitsökonomen umstritten.

Erfolge in der praktischen Umsetzung waren bisher eher rar, und die Erfolgsaussichten für die Zukunft sind daher realistischerweise wohl eher bescheiden. Bleiben nur einnahmenseitige Maßnahmen. Soll das Gesundheitswesen im Sinne eines Sozialstaates weiterhin primär öffentlich finanziert werden, bleibt hier nur die Erhöhung der Sozialversicherungsabgaben oder die Finanzierung durch Steuereinnahmen. Politisch schwer durchsetzbare Maßnahmen.

Kostenkrankheit des Sektors

Aber warum überhaupt reichten die zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel in der Vergangenheit aus und jetzt scheinbar nicht mehr? Auch dazu gibt es mehrere Erklärungsansätze. Sicherlich spielen demografische Veränderungen auch hier eine Rolle. Unumstritten ist auch, dass die Behandlungsmöglichkeiten immer ausgereifter, aber damit auch teurer werden. Es gibt aber auch noch einen weiteren, theoretischen Erklärungsansatz, der weitgehend unbekannt ist, aber langfristig entscheidend beiträgt: die Baumol'sche Kostenkrankheit. Diese besagt kurz ausgedrückt, dass der Anteil der Gesundheitskosten am gesamten Volkseinkommen fortlaufend steigen wird.

Dazu veröffentlichten die US-Ökonomen William Baumol und William Bowen bereits in den 1960er-Jahren mehrere durchaus viel beachtete Artikel. Konkret teilten Baumol und Bowen Unternehmen in zwei Sektoren ein: den progressiven Sektor und den stagnierenden Sektor. Den progressiven Sektor könnte man auch grob als Industriesektor bezeichnen und den stagnierenden Sektor als Dienstleistungssektor. Jetzt das Entscheidende: Im Industriesektor lassen sich durch den technologischen Fortschritt Produktivitätsgewinne erzielen. Das heißt, leistungsfähigere Produkte lassen sich mit immer geringer werdendem Mitteleinsatz herstellen. Im Dienstleistungssektor hingegen gibt es kaum Produktivitätszugewinne. Insgesamt ist das Phänomen tatsächlich sehr lebensnah: Während heute selbst jedes Billig-Smartphone die Nasa-Computer der 1970er-Jahre bei weitem übertrumpft, funktionieren Dienstleistungen wie das Haareschneiden oder die Bedienung in der Gastronomie noch ähnlich wie vor 50 Jahren.

Mit anderen Worten: Dienstleistungen, wie eben auch medizinische Leistungen und Pflege, werden im Verhältnis zu Produktionsgütern wie Kleidung, Fernsehern und Autos immer teurer. Natürlich gibt es auch im Gesundheitsbereich enorme technologische Fortschritte, sowohl bei der Medikamentenherstellung und -entwicklung als auch bei den Untersuchungsmethoden. Bei gewissen Tätigkeiten gibt es aber kaum Produktivitätsfortschritte. Bei der ärztlichen Behandlung an sich sowie im Bereich der Pflege wird der Mensch immer die Hauptlast der Arbeit tragen.

Ausgleich durch Wohlstand

Aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften müssen wir also davon ausgehen, dass das Gesundheitswesen einen immer größeren Anteil am Volkseinkommen beanspruchen wird. Langfristig betrachtet reichen ausgabenseitige Sparmaßnahmen also nicht aus, um die noch hohe Qualität des Gesundheitssystems aufrechtzuerhalten.

Für Baumol selbst war die nach ihm benannte Kostenkrankheit übrigens kein großes Problem: Wenn die Produktivität im Durchschnitt steigt, nimmt insgesamt auch der Wohlstand zu. Dass sich das Verhältnis zwischen Industrie und Dienstleistungen verschiebt und damit zum Beispiel der Anteil der Kosten für Gesundheitsdienstleistungen immer weiter steigt, ist demnach ein ökonomisches Faktum, das am Ende von sekundärer Bedeutung ist. Baumol sprach in diesem Zusammenhang daher von der "survivable cost disease". Was Baumol allerdings nicht thematisierte, war die damit verbundene Verteilungsfrage.

Wenn das BIP insgesamt steigt, kann es sich eine Gesellschaft leisten, dass Gesundheitsdienstleistungen immer teurer werden. In der Realität ist es aber so, dass die Gewinne infolge der Produktivitätszuwächse nicht bei allen Bevölkerungsgruppen ankommen. In den europäischen Sozialstaaten ist dieses Phänomen besonders ausgeprägt. Hier wird das Gesundheitswesen vor allem von der öffentlichen Hand finanziert. Die Produktivitätsgewinne im Industriesektor führen also zu privaten Gewinnen. Die höheren Kosten, wie sie im Sinne der Baumol’schen Kostenkrankheit unter anderem im Gesundheitswesen entstehen, trägt hingegen die Allgemeinheit.

Wer bekommt die erwirtschafteten Gewinne?

Diese "europäische Variante der Kostenkrankheit" hat also eine weitere Dimension – nämlich jene der Verteilung von privaten Gewinnen und vergemeinschafteten Kosten. Wie damit umgegangen wird, sollte die eigentliche Frage bei Reformvorhaben sein. Eine weiter fortschreitende Privatisierung des Gesundheitswesens wäre eine Möglichkeit. Eine andere Möglichkeit wäre, einnahmenseitig die Finanzierung zu verändern. Bezieht man sich wieder auf die Theorie Baumols, wäre dies theoretisch ohne Wohlstandsverluste möglich.

Man müsste dazu die gestiegenen Gewinne aus den Produktivitätssteigerungen im progressiven Sektor versteuern und die Erlöse dem Gesundheitswesen zuführen. Neben den sicher vorhandenen Effizienzproblemen im Gesundheitsbereich sollten anstehende Reformen auch die Behandlung dieser Kostenkrankheit beinhalten. Sicher ist, dass die Kosten für Gesundheit und Pflege langfristig stetig steigen werden. Das Problem auszusitzen und zu hoffen, dass die Pflege- und Gesundheitskosten wieder sinken, wäre eher naiv. Die europäische Variante der Kostenkrankheit ist da, und sie wird auch nicht von selbst wieder verschwinden. (Stefan Trappl, 7.2.2023)