"Robots – hacking the binary code" vom Berliner Kollektiv Manufaktor ist am 17. 2. beim Future Lab zu Gast im Schubert-Theater Wien.

Kathleen Kunath

Simon Meusburger leitet mit Lisa Zingerle das Schubert-Theater in Wien.

Ilkhan Erdogan

Die Pandemie hat dem Theater einen digitalen Boost beschert, den aber nur wenige so wirklich toll finden. Neue, breitenwirksame Technologien im Bereich künstliche Intelligenz (KI) heizen das Interesse indes erneut an. Das Schubert-Theater in Wien nimmt die Herausforderung an und widmet sich bereits zum zweiten Mal in einem einmonatigen Schwerpunkt den neuen technologischen Möglichkeiten und den damit einhergehenden Fragen nach künstlerischer Moral, utopischen Handlungsfeldern und Publikumsgewinnung.

STANDARD: Ich wollte die Interviewfragen von der KI Chat GPT erstellen lassen, doch der Zugang war stets überlastet. Die Abhängigkeit von Technologien ist oft ärgerlich. Warum kommt aber auch das Theater daran nicht vorbei?

Meusburger: Es gibt immer noch technische Limitationen, aber dennoch bringen uns die neuen Werkzeuge weiter. Angst ist da fehl am Platz. Man muss schauen, welche Tools für klassisches Theater passen und was das mit den Künstlern und dem Publikum macht. Wir im Schubert-Theater haben bereits vor der Pandemie mit Textsoftware gearbeitet, beim Projekt Pinocchio sind damals 70 Prozent des Textes maschinell entstanden. In der Pandemie haben wir dieses Interesse weiterentwickelt und viel ausprobiert, etwa den Einsatz von VR-Brillen. Beim "Future Lab I" im Vorjahr ging es darum, was denn das digitale Theater überhaupt sein kann. Viele Formate sind ja inzwischen wieder verschwunden.

STANDARD: Das Theaterpublikum lehnt Digitalität eher ab. Wo sehen Sie Chancen, Schwellenangst abzubauen?

Meusburger: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben gemerkt, dass unsere erste digitale Vorstellung damals für viele eine enorme Barriere darstellte. Man konnte sich als Zuschauer einen Avatar aussuchen, aber das war vielen zu nah am Computerspiel. Fest steht: Niemand will das analoge Theater abschaffen. Aber es gibt Interesse neuer Publikumsgruppen, dem wir nachgehen wollen. Und vielleicht führt ein solches digitales Fenster den einen oder die andere letztlich dann auch vor Ort ins Haus.

STANDARD: Wie wollen Sie das niederschwelliger machen?

Meusburger: Die Niederschwelligkeit wird viel diskutiert. Eine deutsche Studie ergab, dass Menschen, die zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr nie im Theater waren, auch später nicht ins Theater gehen werden. Für junge Menschen ist ein digitaler Einstieg durchaus niederschwellig. Es wird immer darüber diskutiert, dass Theater auch hinausgehen soll. Das bedeutet aber nicht nur Open Air, sondern auch in die digitalen Räume, also, wenn man so will, ins Open Web.

STANDARD: Nennen Sie bitte ein Beispiel einer am Theater gut einsetzbaren Technologie.

Meusburger: Wir sind ein Figurentheater, arbeiten also mit toter Materie und erwecken sie zum Leben. Bei Blade Runner haben wird erstmals mit digitalen Puppen gearbeitet. Das heißt, Grafiker und 3D-Designerinnen haben digitale Avatare gebaut, Puppen also nicht aus Schaumstoff, sondern aus Pixeln hergestellt. Schauspieler haben diese Figuren dann mittels VR-Brille gesteuert. Wichtig ist uns, dass VR oder KI nicht nur von großen Konzernen genützt werden, sondern auch zum Beispiel von der Kunst.

STANDARD: Sie bereiten ein KI-Konzert vor. Wie funktioniert das?

Meusburger: Hier habe ich vom neuen Chat GPT ein Minimärchen erstellen lassen, von einer anderen KI die entsprechende Musik komponieren lassen, und eine Bilderschaffungssoftware nütze ich, um Illustrationen zu bekommen. Theater hat schon immer aus diversen Kunstsparten zusammengetragen, um etwas Neues zu kreieren.

STANDARD: Ist nicht die Sorge berechtigt, dass bei der Auslagerung der Gedankenarbeit irgendwann immer das Gleiche herauskommen wird?

Meusburger: Eine wichtige Frage, die wir im Future Lab auch zur Diskussion stellen werden. Inputgeber ist nach wie vor der Mensch, entscheidend ist etwa, wie kreativ ich bei dem bin, was ich in die Maschine eingeben. Aber natürlich sollten wir uns bewusst machen, was hinter dem Algorithmus steckt. Zensur passiert ganz einfach. Hinter allen großen KI-Entwicklungen stehen große Konzerne, die ihre Interessen verfolgen. Wer entscheidet am Ende, was erlaubt ist? Dazu haben wir einen Programmschwerpunkt, der dem Internetaktivisten Aaron Swartz gewidmet ist. Mir fiel beispielsweise auf, dass die erste KI-Textversion von Pinocchio 2018 noch recht roh war, die maschinellen Gedanken sind schnell absurd geworden, nahmen unerwartete Wendungen. Wenn ich heute "Pinocchio" und den Autornamen "Collodi" eingebe, wird die Geschichte bereits deutlich geschliffener.

STANDARD: Eine Frage gebe ich von Ihrer Webseite weiter: Ist eine Technologie ohne Unterwerfung, Unterbezahlung, Überheblichkeit und Überwachung möglich?

Meusburger: Die Kritikpunkte nehmen wir alle ernst, und sie sind bis zu einem gewissen Grad der Grund, warum wir uns mit diesen Technologien genauer beschäftigen. Als Theatermacher habe ich aber auch Utopieansprüche. Schön wäre es, wenn uns KI hilft, auf neue Ideen zu kommen. Ein Beispiel aus dem Spielebereich war der Durchbruch, als das erste Mal eine Maschine einen Go-Meister geschlagen hat, was bis dahin als unmöglich galt. Das Go-Spiel in Japan gilt als äußerst kreatives, menschliches Spiel. Auf gewisse Züge wäre der menschliche Gegner aber nie gekommen. Dieses utopische Moment könnte auch in der Friedensdiplomatie wichtig werden, die ebenfalls KI-unterstützt arbeitet, um aus gewissen Sackgassen herauszufinden.

STANDARD: Was hat sich nach dem digitalen Boost im Theater getan? Haben neue Technologien in der Praxis oder in der Ausbildung Fuß gefasst?

Meusburger: Wir sehen, dass es ein Interesse vonseiten des Publikums gibt. Die Theater selbst haben eher Hemmungen, die Ausbildungsstätten ebenfalls. Wir tun uns als kleinere Bühne aber leichter, sind flexibler, können als Nische funktionieren. Hinzu kommt: Es gibt zwar inzwischen viel Technologie, aber noch nicht so viele Inhalte dafür.

STANDARD: Wie wäre das Image des digitalen Theaters zu verbessern?

Meusburger: Wenn man den Theaterbegriff nicht zu eng sieht, hilft das schon. Schade ist, dass die Digitalförderungen mit dem Zuendegehen der Pandemie gleich wieder abgeschafft wurden. Sie haben uns bei der Entwicklung sehr geholfen. Man braucht Server und Expertinnen und Experten. Das kostet Geld. (Margarete Affenzeller, 1.2.2023)