Wer kürzlich übersiedelt ist und genau hinschaut, der erkennt es vielleicht: Die Jacke, die im Schaufenster des Ladens hängt, wurde aus Transportdecken gefertigt. "Hier sieht man Reste von roter Kleidung, und das war vielleicht mal eine goldene 70er-Jahre Bluse." Katja Rozboril zeigt auf die schimmernden Lurexfäden, die an Ärmel und Knopfleiste zu sehen sind. In ihrem Atelier in der Margaretenstraße verwandelt die Schneiderin textilen Abfall – Kleidung, die andere aussortiert oder weggeschmissen haben – in modische Unikate.

Die Packdecken, die sie für ihre lässig geschnittenen Jacken verwendet, sind aus geschredderter Altkleidung gefertigt. Im Nebenraum hängen bunte, aus rechteckigen Stoffstücken gefertigte Taschen. "Dafür verwende ich Musterbücher von Designern, die ich aus Architekturbüros bekomme", erklärt sie. Die Stoffproben, die einst als Inspiration für Vorhänge, Sitzpolster und Tapeten durchblättert wurden, erfahren durch Rozboril ein zweites Leben als schicker Einkaufsbegleiter.

Kreislaufwirtschaft: Katja Rozboril näht in ihrem Laden in der Wiener Margaretenstraße aus alten Jeans Röcke ...
Foto: Lisa Trurrmann

Die Idee zum textilen Upcycling kam der gelernten Schneiderin während ihrer Karenzpause, die sie nach der Geburt ihres zweiten Kindes nahm. 15 Jahre nach ihrer ersten Kollektion befand sie, dass es "Zeit für neue Wege" war. Sie wollte ein Statement setzen gegen die schnelllebige Modeindustrie, die den Markt in immer kürzeren Abständen mit billig gefertigter Kleidung flutet. Mode für die Wegwerfgesellschaft. Rozboril will zeigen, dass es auch anders geht: langlebige, ressourcenschonende Mode – gefertigt aus Teilen, die Flecken und Löcher haben oder schlicht aus der Mode gekommen sind, aber dennoch zu schade zum Wegwerfen sind.

Ihr Zugang habe sich dadurch komplett verändert, erzählt sie. Statt sich zu fragen "Was will ich machen?" und anschließend die entsprechenden Stoffe zu kaufen, heißt es nun: "Was für Material bekomme ich, und was kann ich daraus machen?" Die Suche nach Unternehmen, die ihr alte Stoffe und Kleidung abtraten, war schwieriger als gedacht. Aus Angst, ihr Logo auf fremden Stücken zu finden und damit die eigene Marke zu verwässern, lehnten viele Rozborils Anfragen ab.

Lust aufs Selbermachen

Nicht nur die Akquise stellt die Schneiderin vor neue Herausforderungen: Ihr Materialfundus besteht aus Stoffresten und Kleidungsstücken in unterschiedlichen Farben und Texturen. Jedes ihrer Stücke ist ein Unikat. "Trotzdem ist mein Anspruch, dass es Kleinserien, also in sich homogene Kollektionen gibt." Sie greift sich ein paar der Etuis, die sie aus der Verkleidung ausgedienter Schallschutzmodule und Sitzbänke macht: Jede anders, und doch passen sie alle zusammen. Das Material ist etwas dicker und damit "super für Elektroschrott", wie sie lachend sagt.

Dass sie kreativ mit ihren Händen arbeiten will, war der Schneiderin schon früh klar. Mit der Zeit begann sie, die Modeindustrie zunehmend zu hinterfragen. Damit ist sie nicht allein. "Ich kenne so viele Leute, die sich in den vergangenen Jahren Nähmaschinen gekauft haben." Das Bewusstsein für die negativen Folgen unseres Einkaufsverhaltens und die Lust aufs Selbermachen sei definitiv gestiegen, sagt die Schneiderin.

Auch die großen Konzerne haben den Trend erkannt, drucken Zertifikate und Versprechen auf ihre Waren. Rozboril ist skeptisch, spricht von Greenwashing. Und überhaupt: Für Kunden seien die Hintergründe der Produktion schwer zu durchschauen. Also doch Selbermachen.


... und macht aus Stoffresten neue Taschen.
Foto: Verena Carola Mayer

Angefangen hat Katja Rozboril mit Kleidern und Blusen, die sie aus ausgedienten Herrenhemden schneidert. "Ich habe alle Männer in meinem Bekanntenkreis angerufen, die viel Hemden tragen", erzählt sie. Mittlerweile bekommt sie oft mehr Material, als sie verarbeiten kann. Von Versace bis Tchibo sei alles dabei. Nach dem Sammeln kommt das Sichten: Welche Bestandteile lassen sich – loch- und fleckenfrei – weiterverwenden? Welche Farben und Muster lassen sich gut kombinieren?

Für eine Bluse hat sie diverse fliederfarbene Hemden zusammengenäht, andernorts trifft Kariertes auf Gestreiftes, selbst ein altes Micky-Maus-Hemd hat sie gekonnt zum eleganten Kleid umgeschneidert. Bei Qualität und Design will sie keine Abstriche machen. "Man soll nicht auf den ersten Blick sehen, dass es recycelt ist." Maßanfertigungen gehen sich – finanziell und zeitlich – nicht aus. Dennoch versucht Rozboril, auf besondere Kundenwünsche einzugehen. Kürzlich kam eine Frau mit den Hemden ihres verstorbenen Mannes zu ihr. "Daraus habe ich ihr dann ein Kleid genäht, das war total rührend."

Ein Turban für die Sauna

Ihr jüngstes Projekt sind Röcke, die sie aus alten Jeans geschneidert hat. Ursprünglich wollte Rozboril die Hosen in Jeanskleider verwandeln, beim ersten Prototyp aber merkte sie, dass die Stoffe zu schwer und starr waren. Also Röcke. Beim Upcycling ist neben Kreativität und Können auch Flexibilität gefragt.

In den Workshops, die sie regelmäßig in kleinem Kreis veranstaltet, will die Expertin ihr Wissen auch anderen zur Verfügung stellen. Viele kommen mit konkreten Ideen. Mit anderen überlegt sie gemeinsam, was man aus der Altkleidung oder den ausgedienten Handtüchern machen könnte. Letztere eignen sich zum Beispiel wunderbar für waschbare Abschminkpads und kleine Gästehandtücher. "Oder man macht sich einen Turban für die Sauna." Ideen gibt es viele – man müsse nur etwas um die Ecke denken.

Aus Hosen werden Röcke.
Foto: Verena Carola Mayer

Weil nachhaltig zu arbeiten auch bedeutet, den textilen Abfall in der eigenen Werkstatt so klein wie möglich zu halten, erfand Katja Rozboril den Sac de Baguette: Ein Baguette-Sackerl aus Hemdsärmeln. Für die hat sie bei ihren Blusen und Kleidern meist keine Verwendung. Und da Rozboril sich schon immer über das Baguette geärgert hat, das oben aus dem Sackerl rausschaut, verarbeitet sie die Stoffreste nun zur farbenfrohen, wasch- und wiederverwendbaren Brotverpackung.

Alles ist eine Ressource

Dass Design und Resteverwertung Hand in Hand gehen können, beweist Rozboril auch bei der Innengestaltung ihres Ladens: Als Regal für ihre Hauben und Täschchen hat sie alte hölzerne Straßenbahnsitze an die Wand geschraubt. Aus ehemaligen Halte- machte sie Kleiderstangen. "Ausrangiert von den Wiener Linien." An manchen sind noch die orangefarbenen Schlaufen befestigt, die Straßenbahngäste einst vor dem Umfallen bewahrten. Und das kleine Bänkchen mit den orangenen Füßen – das stand mal in einem Kindergarten.

Derzeit arbeitet Katja Rozboril an einer modularen Kollektion. Teile, die man "einfach aus dem Schrank nehmen kann, weil man alles mit allem kombinieren kann." Im Idealfall besitzt man also nur noch wenige, ausgewählte Stücke – und ist trotzdem stets passend und abwechslungsreich gekleidet. Das spart nicht nur Ressourcen, sondern auch eine Menge (vor dem Kleiderschrank verbrachte) Zeit.
(Verena Carola Mayer, 7.2.2023)