Den Fehler bei der Wählerschaft zu suchen greift zu kurz, sagt Kulturwissenschafter Christoph Landerer im Gastkommentar.

1993 abgespaltet, blieb die Abgrenzung zur FPÖ kein Alleinstellungsmerkmal des Liberalen Forums: Gründerin Heide Schmidt 1995 bei einer TV-Konfrontation mit FPÖ-Chef Jörg Haider.
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Der Liberalismus hat in Österreich keine einfache Geschichte. Die obrigkeitskritische Skepsis vieler Liberaler richtete sich im 19. Jahrhundert auch gegen das multiethnische habsburgische Herrschaftskonzept und förderte so die Verbindung von Liberalismus und Deutschnationalismus. Dieser überdauerte in den Burschenschaften und wurde schließlich in die FPÖ hineintradiert. Während die deutsche FDP den Einfluss der Korporierten, vor allem in Gestalt extremer und schlagender Verbindungen, schon früh begrenzen konnte, wirkte er in Österreich lange – in der FPÖ bis heute – nach. Bis zur Gründung des Liberalen Forums 1993 gab es so nie eine liberale Bewegung, die unverbrüchlich an westliche liberale Traditionen anschließen konnte.

Da in Österreich ein Liberalismus üblicher Ausprägung fehlte, konnte auch keine politische Partei die Funktion des Wechselmachers übernehmen, wie sie die FDP in Deutschland hatte. 1993, zur Zeit der Gründung des Liberalen Forums, war die FDP 36 Jahre lang an Bundesregierungen beteiligt, die FPÖ knapp vier (das nur kurz währende Kabinett Vranitzky I eingerechnet) – mit desaströsem Ergebnis. 1986, am Ende der rot-blauen Koalition unter SP-Kanzler Fred Sinowatz, lag die Partei in Umfragen bei ein bis zwei Prozent. Nach dem rot-blauen Intermezzo wurde Österreich bis 1999 in großen Koalitionen regiert, mit dem Resultat einer weiteren Verfestigung jener politischen Verkrustungen, die Jörg Haider äußerst geschickt für seine Zwecke zu nutzen wusste.

Liberaler Nachholbedarf

Einen Nachholbedarf an liberaler Politik gab es in den 1990er-Jahren also zur Genüge, die Abspaltung des Liberalen Forums von der FPÖ folgte einer grundsätzlich richtigen Diagnose. Aber die junge Partei konnte sich programmatisch nie wirklich konsolidieren, die Schuld an dieser Situation wurde regelmäßig dem Wähler, der Wählerin in die Schuhe geschoben. Ein Rest dieser Mentalität klingt noch im Gastkommentar von Heide Schmidt durch: "Was hat die Wählerschaft gelernt?". Diese Frage trieb das Liberale Forum mehr und grundsätzlicher um als die Analyse eigener Fehler und die Diskussion der notwendigen politischen Schlussfolgerungen.

Eine potenzielle Wurzel des Scheiterns lag von Beginn weg in der Gründungsgeschichte des Forums, also in seiner historischen Verwobenheit mit der FPÖ. Die Abnabelung erfolgte rasch und als scharfer programmatischer Schnitt, die 180-Grad-Wendung erzeugte einen politischen Erklärungsbedarf, den Schmidt und ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen nicht immer stimmig bedienen konnten – in der Fundamentalopposition zur FPÖ wirkten die Grünen glaubwürdiger. In der Folge wurden auch Themen vernachlässigt, die das Liberale Forum sich von der FPÖ hätte erkämpfen müssen.

Richtige Diagnose

Natürlich hat Schmidt recht mit ihrer Diagnose, dass SPÖ und ÖVP sich "das Land aufgeteilt" hatten – effizienter in Stellung gebracht wurde die Thematik aber von der FPÖ, auch weil das Liberale Forum über interne Umfragen verfügte, wonach die Thematik bereits zu stark blau besetzt war und man sich hier nur schwer behaupten könne. Die Rechnung wurde in der Wahl 1999 präsentiert: Die FPÖ kam mit 26,9 Prozent auf einen knappen Platz zwei, das Liberale Forum verfehlte die Vier-Prozent-Hürde und flog aus dem Parlament. Der Hauptstimmenbringer für Haider war damals nicht, wie häufig verbreitet, das "Ausländerthema", sondern der Themenkomplex "Freunderlwirtschaft Proporz". Der britische Economist sah folgerichtigerweise den wesentlichen Nährboden des freiheitlichen Erfolgs im "corrupt duopoly" der institutionalisierten großen Koalition.

Sprunghafte Programmentwicklung

Ein tieferer Grund für das liberale Scheitern lag aber auch in einer zu wenig nachhaltigen, zu unruhigen und zu sprunghaften Programmentwicklung, die ein wesentliches Problem aller jungen Parteien ist – zuletzt hat die Liste Pilz drastisch vor Augen geführt, wie schnell man deshalb zu Fall kommen kann. Auch beim Liberalen Forum poppte mal dieses Thema auf, mal jenes, Schmidt hatte vielleicht auch nicht jene Disziplin, die eine stimmige Programmentwicklung erfordert.

Beim "ganzheitlichen Liberalismus" wiederum, den die Partei eher plakativ vor sich hertrug, hat man sich zu sehr der Illusion eines selbsterklärenden Konzepts hingegeben. Liberalismus produziert Zielkonflikte, die sich auf tendenziell linksliberale oder tendenziell rechtsliberale Weise auflösen lassen, immer aber diskursiv ausgetragen werden müssen. Für eine kleine Partei, der die dafür nötige Basis fehlt, ist das kein leichtes Unterfangen.

"Dass die Neos sich seit nunmehr einem Jahrzehnt im Nationalrat halten können, ist keine kleine Leistung."

Das Erbe des Liberalen Forums haben die Neos angetreten; dass sie sich seit nunmehr einem Jahrzehnt im Nationalrat halten können, ist keine kleine Leistung – nach dem Einzug der Grünen 1986 ist eine derart lange Vertretungsperiode keiner anderen Partei mehr gelungen. Aus dem Scheitern des Liberalen Forums hat seine liberale Nachfolgepartei offenkundig gelernt, programmatisch treten die Neos überlegter und disziplinierter auf. Dass sie mit Matthias Strolz und Beate Meinl-Reisinger über professionelles Personal verfüg(t)en, ist eine glückliche Fügung, ebenso wie ihr Herkunftsmarker in der ÖVP, der den Neos allzu dramatische Abnabelungsprozesse erspart. Politisch produktiv wird Liberalismus freilich primär durch seine pragmatische, tolerante und sachzentrierte Grundhaltung. Liberale in diesem Sinn gibt es heute nicht nur in liberalen Parteien. (Christoph Landerer, 7.2.2023)