Ultimo und Darius liefern sich ein erbarmungsloses Gefecht. Sie schleudern einander durch die Luft, werfen sich aufeinander, klatschen mit den Händen voller Wucht gegen Brust und Rücken. Was lebensgefährlich aussieht, ist zumindest teilweise eine Illusion. Denn die Kämpfe sind meist durchchoreografiert. Wer gewinnt, wird vorher festgelegt.

Videoreportage: "Ich freu mich, wenn mir Leute dabei zuschauen, wie ich den anderen auf die Goschn hau", sagt WUW-Wrestlerin Betty Boa.
DER STANDARD

Einmal im Monat findet im Keller des Wiener Gürtellokals Weberknecht eine Wrestlingshow des Vereins World Underground Wrestling (WUW) statt. Diesmal unter dem Motto Fasching. 14 Kampfwütige treten in Kostümen gegeneinander an.

"Ich hasse Verkleidungen", sagt Humungus, der Veranstalter. "Der tut nix, der will nur Bier" steht auf seinem Shirt. Seine Brille sind zwei Bierkrüge, seinen Kopf ziert ein Plüschbierkrug. Stolz und dominant sitzt er am Eingang hinter den Kassiererinnen und beobachtet das Schlange stehende Publikum. Er selbst war Profikämpfer und Wrestler.

Die heiligen Wrestlingländer Japan, Mexiko und die USA

Zehn Jahre lebte Humungus in Japan: "Von dem Geld, das ich dort verdient habe, lebe ich jetzt noch." Heute können nur die allerwenigsten mit Wrestling genügend Geld verdienen. Thekla Kaischauri, Wienerin und Schülerin von Humungus, ist eine, die es geschafft hat. Die Profiwrestlerin lebt und arbeitet momentan in Japan. Die Szene dort ist groß, die Wrestlingshows sind überaus beliebt.

Auch in den USA und in Mexiko wird diese Sportart seit Jahrzehnten zelebriert. In Österreich ist die Szene klein. Dementsprechend sind auch die Gagen für die Shows gering. Zwischen 100 und 150 Euro zahlt Humungus den Kämpfenden für den Auftritt im Weberknecht.

Einmal im Monat findet im Weberknecht Underground-Wrestling statt. Es ist ein Spektakel der besonderen Art.
Foto: Christian Fischer

Zwischen Ballermann und Improtheater

Ultimo präsentiert sich im Spiderman-Einteiler, Darius im Boxerhöschen. Er lässt seine Brustmuskeln hüpfen. Powerposen werden eingenommen. Dann geht es los. "Brich eam 's Astl (Brich ihm den Arm)!", schreien die drei Moderatoren abwechselnd ins Mikro. Ultimos Arm gleicht tatsächlich eher einem Ast als einem Stamm. Insgesamt könnten die Körperformen der Kämpfenden kaum unterschiedlicher sein: Vom Sumoringer bis zur Balletttänzerin ist alles dabei. Frauen kämpfen gegen Männer, dünn gegen muskulös, groß gegen klein – alles ist möglich.

Das Publikum reckt die Hälse. Mit geballten Fäusten feuert es Ultimo und Darius an: "Fetzerei! Fetzerei! Fetzerei!" Es sind hauptsächlich Studierende. Sie kommentieren kreischend das Geschehen, lachen ausgiebig, buhen und jubeln. Es herrscht Ballermann-Stimmung. Kurz: Sie lieben das Spektakel. Eine Frau neben mir ist anderer Meinung. Sie blickt verstört um sich, beugt sich zu ihrer Sitznachbarin und flüstert ihr zu: "Es ist, als würde man mit hunderten Dämonen im Raum sitzen."

Vielleicht macht genau das den Reiz der Show aus. Einmal die Sau rauslassen. Einmal ausrasten, Gewalt gut finden dürfen – ist ja eh alles nur Show. Der Mix aus Kabarett, Kleinkunsttheater, Sportwettbewerb und Zirkus macht die sonst tabuisierten Schlägereien erlebbar und würzt sie mit einer Prise Humor. Denn alle spielen eine Rolle, einen erfundenen Charakter, den sie selbst gewählt haben.

Auch wenn vieles im Wrestling gespielt ist, die Würfe und Sprünge sind echt und knallhart.
Foto: Christian Fischer

Die Maske fällt

Die Luft ist heiß und stickig, es riecht nach Bier. Die Kehlen sind trocken, die Stimmen heiser, die T-Shirts verschwitzt. Es ist eng. Die Stimmung im Keller kocht. Ultimo ist dabei zu verlieren. Als letzten Versuch, Dominanz zu zeigen, reißt er sich seine Spiderman-Maske vom Gesicht. Zum Vorschein kommt: seine bunte Wrestling-Haube. Er verliert trotzdem. Aber zumindest ist er der Sieger der Herzen.

Als letzter Showact betritt ein Mann im bunten Batikshirt mit der Figur eines Sumoringers und brauner Lockenmähne die Bühne. Sick Bubblegum, wie der Wrestler sich nennt, greift zu seiner Gitarre und schrubbt über die Saiten. Singend bahnt er sich seinen Weg durch die Menge, hinaus aus dem Keller. Der Song ist eine leicht veränderte Version des Toten-Hosen-Lieds "Hier kommt Alex". Rund 150 Menschen um mich herum grölen im Chor:

"In einer Welt, in der man nur noch lebt,
damit man täglich roboten geht,
ist die größte Aufregung, die es noch gibt,
die sonntägliche Wrestlingshow.
Wenn am Himmel die Sonne untergeht,
beginnt für die Wrestler der Tag.
Hey, hier kommt Bubblegum!
Vorhang auf für die Wrestlingshow!"

Sie stimmen sich ein für den kommenden Wrestlingevent. Der nächste Sonntag kommt bald. (Natascha Ickert, 12.2.2023)