Kabarettistin Andrea Händler führt ihren bösen Buben Alfred Dorfer ab: Der Film "Muttertag" löste 1994 einen Kabarett-Boom aus.

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Wäre Österreich eine Bühne, und allzu oft gewinnt man diesen Eindruck, dann wäre es ziemlich sicher eine von der humoristischen Sorte: ob Vorstadttheater, Operette oder Kleinkunst – Kasperliade und Satire sind gewissermaßen in der DNA des Landes verankert, Staatsdoktrin sozusagen. Die Grazer Historikerin Iris Fink, Mitbegründerin des Kabarettarchivs, hat sich seit über 20 Jahren der Aufgabe verschrieben, dieses Verhältnis genauer zu beleuchten. Nach Lachen im Keller über die Jahre 1900 bis 1945 und Lachen hat seine Zeit (1945–1970) ist nun der dritte Band ihrer Kulturgeschichte des heimischen Kabaretts erschienen: ... und das Lachen höret nimmer auf, so der Titel.

Das Buch, gespickt mit Detailwissen, Textauszügen und Bilddokumenten, zeichnet die Entwicklung der sogenannten Kleinkunst in Österreich von 1970 bis zum Jahr 2000 nach. Es hilft, den beispiellosen Boom des Kabaretts ab den 1990er-Jahren zu verstehen, und legt Erklärungsansätze bereit, warum aktuell in (post)pandemischer Zeit neben den Tempeln der Hochkultur auch die Kleinkunst nicht vor Publikumsrückgängen verschont bleibt. Jener Band, der die Jahre 2000 bis zur Corona-Zäsur 2020 beschreiben soll, wird erst noch geschrieben werden, sagt Fink dem STANDARD. Gut möglich aber, dass sich damit der Kreis zu den 70er-Jahren schließt.

Kulturbeisl und Gemeindesaal

Warum? Weil das Neue auch damals klein anfangen musste. Während die Generation um Qualtinger, Bronner, Kreisler und Co die Nachkriegszeit prägte, dabei aber stark den Traditionen des Theaters verhaftet blieb, rieben sich die Jüngeren nicht nur inhaltlich, sondern auch handwerklich an den Altvorderen: aus den linksalternativen studentischen Milieus entwickelte sich die Idee vom Kabarettisten als Individualisten, der an keine bestimmte Spielstätte gebunden ist, sondern vagabundenhaft von Gasthaus zu Beisl und von Hinterhofbühne zu Gemeindesaal tingelt, ohne Requisite, ohne Bühnenbild, ohne den üblichen Tross an Hilfspersonal.

Anna Boschek

Zu einem "Vulkanausbruch" für das Kabarett wie auch für die Liedermacherszene wurde laut Fink die Arena-Besetzung 1976: Lukas Resetarits mit der Gruppe KEIF (u. a. mit Erwin Steinhauer) war dabei, Willi Resetarits spielte bei der einflussreichen Politrockband Schmetterlinge. Aus der Arena heraus entwickelte sich die Kulisse als neue Wiener Kleinkunstbühne mit Gastrocharme: "Es war wichtig, dass nach den Aufführungen darüber diskutiert wurde. Die soziale Funktion der Kulturbeisln war essenziell", sagt Fink. Und auch in den Bundesländern erkannte man nun, dass Kabarett keine ausschließliche Domäne der Bundeshauptstadt sein muss.

Inhaltlich bezog man Stellung gegen Nazis, katholische Einengung, Korruption und früh gegen die Umweltzerstörung. Werner Schneyder sah im Kabarettboom, der noch folgen sollte, ein "Versagen der Großkunst", die unwillig schien, neue Themen aufzugreifen. Die Kleinkunst, von der Subventionspolitik weitgehend ausgeschlossen, professionalisierte sich auf eigene Faust: Agenturen, Preise und Spielorte wurden gegründet, Fernsehen und Filmemacher wurden auf die "jungen Wilden" aufmerksam.

Blockbusterkino mit Schmäh

Der Boom kam mit Josef Hader nebst dem Duo Alfred Dorfer und Roland Düringer. Mit den Filmen von Harald Sicheritz, angefangen von Muttertag (1993) bis zum bis heute erfolgreichsten heimischen Kinofilm Hinterholz 8 (1998), schraubte sich die Kleinkunst zum Massenphänomen hoch. Parallel dazu und oft Hand in Hand wurden auch aus den Liedermachern Stars des sogenannten Austropop – der Geist der Arena-Besetzung war im Mainstream angekommen. Auch kommerziell.

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20 Jahre später scheint wieder alles im Umbruch: Corona entzog der Szene Geld, die Gesellschaft wird diverser, Dialektsprache verliert an Bedeutung, neue Medien verändern die Art, wie und worüber Satire gemacht wird. Das Kabarett kehrt vielleicht zu seinen Wurzeln, zur Nische, zurück, glaubt Josef Hader. Iris Fink zeigt sich denn auch gar nicht kulturpessimistisch: Es komme zu einer neuen Vielfalt der Ausdrucksformen. Musik und Performance hielten Einzug, Texte würden wieder anspruchsvoller, die Kleinkunst wird auch weiblicher. Eine Selbstkorrektur nach dem Boom? Dieser Band der Kulturgeschichte muss erst noch geschrieben werden. (Stefan Weiss, 8.2.2023)