Im Februar, zur Karnevalszeit, füllen sich die Fenster der Bäckereien in Neapel mit Sanguinaccio: einem dunkelbraunen, süßen Schokopudding, der traditionell mit Schweineblut gemacht wird.

Es hat einen ganz eigenen, süchtig machend guten Geschmack, tief aromatisch, leicht herb, viel aufregender, als es Kakaocreme sonst je sein könnte. Neapolitaner tunken gerne Chiaccere in die Creme, in Schmalz frittierte, knusprige Teigstreifen, die so zu einem außergewöhnlichen Vergnügen werden.

Foto: Tobias Müller

Dass Sanguinacchio und Chiaccere (so wie so viele Schmalzgebäcke, etwa auch unsere Krapfen) gerade zur Karnevalszeit genossen werden, ist kein Zufall: Der Winter ist auch in Italien die Zeit des Schweineschlachtens und damit die Hochsaison für Blut und Schmalz. Das Blut wird nach dem Schlachten aufgefangen und erst mit Mehl und dick eingekochtem Most oder Wein gemischt, einem traditionellen Süßungsmittel Süditaliens.

Dann wird etwas Schmalz und Schokolade in die Mischung geschmolzen und alles sanft geköchelt, bis es die gewünschte Konsistenz erreicht hat. Zum Schluss wird die Creme oder der Pudding noch mit winterlichen Köstlichkeiten wie kandierten Zitrusfrüchten, Nüssen, Zimt und Vanille gewürzt und mit Rum abgeschmeckt. Moderne Sanguinaccio-Köche verwenden meist Milch und Zucker statt eingedicktem Most, und für die Würze nehmen sie etwas Strega, einen süditalienischen Kräuterlikör. (1)

Ein Dessert aus Schweineblut ist nur auf den ersten Blick und vor allem für moderne Esser ungewöhnlich. Blut ist äußerst nahrhaft und galt (und gilt) daher in vielen Kulturen als viel zu schade, um einfach weggegossen zu werden: In vielen Gegenden Europas werden aus dem ganz besonderen Saft Blutwürste und -Terrinen gemacht, die ebenfalls oft süß-winterlich gewürzt werden, oder er wird zum Binden von Saucen und Eintöpfen verwendet – etwa im französischen Lièvre à la Royale, dem "königlichen Hasen", oder, etwas weniger imperial, dem bescheidenen Wiener Bruckfleisch.

Foto: Tobias Müller

In Südostasien wird Blut gern zu Blutkuchen geronnen, einem Sterz mit einer ähnlichen Konsistenz wie Tofu, und vor allem als Suppeneinlage serviert. Und in nomadischen Kulturen war und ist es oft üblich, Blut von lebenden Tieren zu trinken – es wird damit zu einer fast unerschöpflichen Nahrungsquelle. Die Masai in Ostafrika sind berühmt dafür, so ihre Rinder anzuzapfen, eine Praxis, die einst auch in Nordeuropa verbreitet war.

In Italien ist der Verkauf von frischem Schweineblut aus hygienischen Bedenken seit ein paar Jahren leider verboten, und wie es scheint, ist diese Regel eine der wenigen, an die sich die meisten Neapolitaner halten, zumindest die Fleischhauer. Die Sanguinaccio-Töpfe, die in den Auslagen der Stadt stehen, sind so gut wie immer ohne Blut und mitunter sogar ohne Schmalz gemacht. Am Land aber ist es aber nach wie vor üblich, dass Familien nach dem Schlachttag Sanguinaccio mit frischem Schweinsblut kochen – "il resto è fuffa", alles andere kann man vergessen, wird die Einstellung vieler Sanguinaccio-Liebhaber hier schön zusammengefasst.

Foto: Tobias Müller

Ich durfte echtes Sanguinaccio das erste Mal vor ein paar Jahren in Nusco kosten, einem entzückenden Dorf in den Bergen von Avellino. Dort wird jedes Jahr im Jänner ein großes Feuerfest gefeiert. Eine neapolitanische Freundin, die aus Nusco stammt, hatte uns eingeladen, bei ihrer Familie Mittag zu essen. Zur Feier des Tages und weil gerade geschlachtet worden war, wurde frisches Sanguinaccio serviert (was mich doppelt gefreut hat, weil ich gerade an meinem Neapel-Kochbuch geschrieben habe).

Bis ich Sanguinaccio kochen konnte, hat es allerdings etwas länger gedauert. Vor ein paar Wochen hatte ich bei lieben Freunden in Pisciotta Glück. Sie können die Creme bloß so löffeln (Achtung: sehr üppig!), als Dip verwenden oder, vielleicht am besten, mit etwas gekochtem Reis mischen und zu einer gedeckten Mürbteigtorte backen. Die Süditaliener nennen das dann "Pizza di Sanguinaccio". (2) Sieht aus wie eine schwarze Pastiera und schmeckt ziemlich gut.

Wer sich fragt, wo er/sie denn Blut herbekommt: Reden Sie mit dem Fleischer Ihres Vertrauens. Dank Leuten, die sich aus welchen Gründen auch immer besonders proteinreich ernähren wollen, ist es gar nicht so schwer zu bekommen. Die Ringls zum Beispiel haben meist eingefrorenes Rinderblut lagernd. Ich bin kein Experte, aber ich glaube, es schmeckt nicht so viel anders als jenes vom Schwein.

Sanguinaccio mit Schweineblut

Foto: Tobias Müller

Zutaten für mindestens vier Esserinnen und Esser

  • 600 g Zucker
  • 150 g Bitterkakao
  • 50 g Mehl
  • 1/2 l Schweineblut
  • 1/2 l eingekochter Most oder Wein (alternativ Milch verwenden und eventuell etwas zuckern)
  • 400 g dunkle Schokolade, in feine Scheiben geschnitten
  • 50 g Schmalz
  • 100 g kandierte Zitronen
  • 50 g gehackte Walnüsse
  • Mark einer Vanilleschote
  • 1 Prise Zimt
  • 1 kleines Glas Rum

In einem Topf Zucker, Kakao und Mehl mischen und unter Rühren den Most und das durch ein feines Sieb abgeseihte Blut hinzufügen. Schmalz, Schokolade, Nüsse und die kandierten Früchte zugeben und auf sehr kleiner Flamme unter ständigem Rühren zum Köcheln bringen; sieden und eindicken lassen, etwa 15 Minuten. Von der Hitze nehmen und die Vanille, den Rum und den Zimt einrühren. Vor dem Servieren in einem Eisbad auskühlen lassen. (Tobias Müller, 12.2.2023)

Foto: Tobias Müller

(1) Auch in anderen Teilen Italiens, verrät mir der Oxford Companion to Italian Food, gibt es das Dessert übrigens auch: In der Emiglia heißt die Creme Migliaccia, was wiederum in Süditalien ein Karnevalskuchen aus Gries ist. Sanguinaccio wiederum heißt im Rest Italiens mitunter nur Blutwurst – ein schönes Beispiel für die verwirrende italienische Nomenklatur, wenn es ums Essen geht.

(2) In der Bezeichnung spiegelt sich noch die alte Verwendung des Wortes "Pizza" aus der Zeit, bevor es synonym wurde mit der gebackenen Teigflade aus Neapel. In Pellegrino Artusis Kochbuch "La scienza in cucina e l'arte di mangiar bene" aus dem Jahr 1891, das als Großmutter aller italienischer Kochbücher gilt, beschreibt er das Rezept für eine "Pizza alla Napolitana" zum Beispiel eine Mürbteigtorte mit Ricotta und Mandelcreme.