Auch komplizierte Aufgaben konnten die Kakadus – vorbereitet mit zwei Werkzeugen – lösen.
Foto: Thomas Suchanek/Vetmeduni

Ein Werkzeugset ist mehr als die Summe seiner Teile. Das gilt jedenfalls in der Verhaltensbiologie, die die kognitiven Fähigkeiten von Tieren erforscht – und sich immer neue Experimente ausdenken muss, um verschiedene Konzepte und Abstufungen zu ergründen. Während von mehreren Spezies bekannt ist, dass sie eine Art Werkzeug nutzen können – von Rabenvögeln bis hin zu Delfinen –, gilt der Gebrauch von Werkzeugsets als spezieller. Kurz gesagt geht es darum, mehr als nur ein Werkzeug zu nutzen, um beispielsweise an schmackhafte Termiten oder Nüsse zu gelangen – und die Einzelteile nicht bloß in erlernter Abfolge anzuwenden, sondern mental als Set einzuordnen.

Dies dürfte auch auf Goffinkakadus zutreffen, wie die Forschungsarbeit eines österreichischen Teams der Veterinärmedizinischen Universität (Vetmed) Wien im Fachjournal "Current Biology" nahelegt. Auch in freier Wildbahn ist der Forschungsgruppe ihr beeindruckender Werkzeuggebrauch aufgefallen: Die Tiere stellen drei Arten an Werkzeugen her, um Samen aus Früchten zu fischen.

Cell Press

Die Vögel, die ursprünglich aus Indonesien stammen, werden an der Forschungsstation Goldegg untersucht und vor knifflige Aufgaben gestellt. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass die Kakadus stabile dicke sowie flexible dünne Stäbchen tatsächlich mental als Set einordnen.

Schimpansen suchen nach Termiten

Wild lebende Schimpansen brechen mit dicken Stöcken oder anderen Schlagwerkzeugen Termitenhügel auf. Dann nehmen sie einen dünnen Stock, um nach Termiten zu fischen. Lange Zeit wurde argumentiert, dass das nur eine Abfolge einzelner Werkzeugeinsätze sei und die Tiere die einzelnen Instrumente nicht als Set wahrnehmen – unter anderem vom britischen Biologen Richard William Byrne.

Doch dieser änderte seine Auffassung angesichts neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse: Kolleginnen und Kollegen hatten beobachtet, wie die Affen beide Werkzeuge gleichzeitig zu Termitenhügeln transportierten. Seitdem ist es plausibler, dass sie die Notwendigkeit beider Hilfsmittel erkennen, bevor sie eines davon benutzen. Das deutet auf die mentale Einordnung beider Instrumente als Set hin.

Dr. Jane Goodall & the Jane Goodall Institute USA

Diese Beobachtungen inspirierten Antonio José Osuna Mascaró von der Vetmed Wien, der in der Vergangenheit bereits unter anderem golfende Kakadus untersuchte. In drei Experimenten am "Goffin Lab Goldegg" prüften er und sein Team, ob auch Goffinkakadus dazu in der Lage sind. Im ersten Versuch versperrten sie den Vögeln mit einer Folie den Zugang zu einer weit hinten in einer Box liegenden Nuss und stellten ihnen zwei Werkzeuge zur Verfügung: einen kurzen, spitzen Stock, um die Folie zu zerreißen, und einen langen, flexiblen Stock, um die Nuss zu erreichen. So wollten die Fachleute testen, ob die Kakadus den Nutzen eines Werkzeugsets selbst wahrnehmen können.

Figaro beeindruckte das Forschungsteam mit seiner geschwinden Lösung.
Foto: Thomas Suchanek/Vetmeduni

Bemerkenswertes Tempo

Einige Kakadus lösten die Aufgabe mit verblüffender Leichtigkeit. Figaro, das Männchen mit dem höchsten Rang in der Gruppe, brauchte dafür im ersten Anlauf nur 31 Sekunden. "Eine solche Geschwindigkeit hatte ich nicht erwartet", erklärt Osuna Mascaró in einer Aussendung. Fini, ein Weibchen, benötigte ebenfalls nur 34 Sekunden, andere Kakadus allerdings zwei oder drei Versuche. Für die Forscherinnen und Forscher ist aber auch deren Leistung "bemerkenswert".

So sahen die beiden Werkzeuge aus, die die Vögel nutzen konnten: ein aufgeschnittener Strohhalm und ein gespitztes Holzstöckchen.
Foto: Thomas Suchanek/Vetmeduni

Um zu klären, ob der Einsatz des Werkzeugsets nur das Ergebnis einer erlernten Abfolge von Handlungen war oder die Vögel ein inneres Abbild – eine mentale Repräsentation – der beiden Werkzeuge als Set hatten, führten die Fachleute ein zweites Experiment durch. Die Tiere erhielten nach dem Zufallsprinzip abwechselnd Zugang zu zwei verschiedenen Boxen: eine war mit einer Folie bedeckt wie zuvor, eine andere ohne Folie. Je nach Problem wurde also einmal das ganze Werkzeugset benötigt, das andere Mal reichte der lange Stock.

Hilfreiches Hantieren

Auch hier schnitten die Kakadus hervorragend ab. Doch die Wissenschafterinnen und Wissenschafter waren überrascht darüber, dass die Tiere vor dem Einsatz des ersten Werkzeugs öfters zwischen beiden Instrumenten hin- und herwechselten. "Interessanterweise verbesserte sich ihre Leistung nach diesem Hin- und Herwechseln; die Wahrscheinlichkeit, das richtige Werkzeug zu wählen, war nach wiederholtem Wechseln höher", sagt Alice Auersperg, Leiterin des Goffin Lab Goldegg. In zukünftigen Experimenten wollen sie und ihr Team daher diesen Entscheidungsprozess der Vögel näher erforschen.

Einer der Versuchsaufbauten.
Foto: Thomas Suchanek/Vetmeduni

Im dritten Experiment ging es um die Frage, ob die Kakadus die beiden Werkzeuge gleichzeitig als Set transportieren. Damit würden sie die Bedeutung beider Werkzeuge verstehen, bevor sie sie benutzen, und beide Hilfsmittel zusammen als Set einordnen können. Dazu mussten die Tiere zunächst eine Leiter zu einer Plattform hinaufklettern, um zu einer der beiden Boxen (mit beziehungsweise ohne Folie) zu gelangen. Danach konnten sie diese Plattform nur durch einen kurzen horizontalen und einen darauffolgenden anstrengenden vertikalen Flug erreichen.

Gut vorbereitet

Auch wenn dafür der mühsame Steigflug erforderlich war, transportierten drei Kakadus beide Werkzeuge konsequent zusammen zur Plattform, wenn es die Box erforderte. Osuna Mascaró ordnet das als "sehr bemerkenswert" ein. Denn die Vögel hätten immer die Möglichkeit gehabt, hin und her zu fliegen und ein Werkzeug nach dem anderen zu holen und zu benutzen. "Doch drei Kakadus haben selbst die Strategie erfunden, beide Werkzeuge im Voraus mitzunehmen", erklärt Auersperg.

Antonio Jose Osuna Mascaró

Um die Entstehung werkzeugtechnischer Fähigkeiten des Menschen zu verstehen, sei es notwendig, nicht nur auf dessen engste lebende Verwandte zu schauen. "Wir müssen auch untersuchen, wie ähnliche Fähigkeiten bei Arten entstehen, die extrem weit von uns entfernt sind, in diesem Fall durch mehr als 300 Millionen Jahre Evolution", sagt die Expertin.

Wobei sich auch unerwartete Parallelen zwischen Primaten und Papageien zeigen, wie Osuna Mascaró bemerkt: "Das Lustige dabei ist, dass die bevorzugte Nahrung dieser Goffins die Cashewnuss ist, deren Geschmack dem Geschmack der Termiten, die Schimpansen essen, sehr ähnelt." (red, APA, 10.2.2023)