Das Ensemble wechselt im Handumdrehen zwischen Griechen- und Amazonenheer hin und her. Hier sind sie die Griechen (mit langen Bärten).

Foto: Karelly Lamprecht

Die Amazonen-Kriegerinnen dürfen sich keine Gefühle erlauben. So will es die Tradition. Einmal im Jahr erobert sich das mythologische Frauenvolk zeugungsfähige Männer, feiert mit ihnen ein "Blumenfest", und entledigt sich danach der Samenspender wie auch jedes später neugeborenen männlichen Babys. Der Schreckensbrauch gerät mit der Amazonenkönigin Penthesilea an sein Ende. Denn sie verliebt sich in Achill, den griechischen Superhelden des Trojanischen Krieges, und er in sie.

In Heinrich von Kleists "Penthesilea" finden am Ende beide den Tod. Dieses Versdrama von 1808 und seine Heldentode verknüpft Franz-Xaver Mayrs Neuinszenierung am Schauspielhaus Graz mit dem gewöhnlichen menschlichen Sterben ohne aufgeladenen mythologischen Background. Eine irdische Botin der Jetztzeit (Beatrix Doderer) erzählt von so einem Tod in Marlene Streeruwitz‘ Text "Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin" (2014). Krebs habe die Frau dahingerafft, so die Berichtende, die den Auftakt des Abends in einem riesigen Blumencape an der Rampe bestreitet, dem feierlichen Gewand der Amazonen.

Falsche Regeln

Dieser Einstiegsbericht weist Penthesilea und Elisabeth, die soeben zu Grabe Getragene, als Tragik-Verwandte aus. Beide sind im Lebens den falschen Regeln gefolgt. Penthesilea der mörderischen Fortpflanzungssitte; und Elisabeth hat, den Konventionen ergeben, ihre unglückliche Ehe nie verlassen, und ist jetzt trotzdem ganz allein gestorben. Ein wenig Glück hat sie Affären auf Reisen abgetrotzt, für die ihre Freundin jeweils das Alibi abgeben musste.

Vier dieser Elisabeth-Passagen Streeruwitz' sind nun in Kleists Drama eingeschleust. Sie werden aber, allein quantitativ, kaum zu einem Nebenschauplatz des Abends. Vor allem die späteren Berichte verschwinden wie weggesprochen in der mit monochronen Farbflächen spielenden, weitgehend abstrakt bleibenden Inszenierung. Dennoch gibt es Spannendes zu sehen. Die Schauspielerinnen und Schauspieler switchen in priesterlich-bodenlangen Fantasygewändern und alienhaft grünlicher Gesichtsfarbe zwischen Griechen- und Amazonenheer. Sie tragen mächtige Flechtfrisuren. Sind sie die Griechen, hängen sie sich zusätzlich knielange, knallbunte Bärte um. Es wirkt, als hätte Ausstatter Korbinian Schmidt "Wonder Woman" und "Terra X" abgemischt.

"Spinnst du?!"

Kleists kunstvolle Verssprache wird – bei einer Aufführungslänge von etwas mehr als zwei Stunden – zügig wie ein Nachrichten-Ticker abgefeuert. Das ist manchmal allzu steil, und Regisseur Mayr gibt es auch zu. Regelmäßig kommen deshalb entscheidende Äußerungen in Neusprech daher: "Spinnst du!" oder "Na klar, von ganzem Herzen" oder auch "Das versteh‘ ich nicht". Und als einmal das Wort "unweiblich" fällt, erhebt sich sofort Geraune. Denn welche Amazone will sich sagen lassen, wann etwas weiblich ist?

Die Regie zielt auf abstrakte Gestaltungsmittel ab. Einerseits zieht sie Energie aus der Spannung zwischen Blankvers und geerdetem Plauderton. Weiters löst die Inszenierung, die sich jeder konkreten Bildgebung verwehrt (eine kleine Drohne und eine kleine Feuersbrunst ausgenommen), die Sprechrollen von Einzelpersonen ab und schickt Penthesilea und Achill in mehrköpfiger Anordnung ins Feld, was ein wenig mythologische Wucht hereinbringen soll, der Effekt bleibt aber aus.

Synthesizer und Pfiffe

Und schließlich treibt drittens ein wohl dosierter Sound (Komposition: Matija Schellander) die Sprache rhythmisch an bis hin zum herzzerreißenden "Lacrimosa", gesungen von Johanna Sophia Baader, begleitet von Schlagwerk, Klavier, Synthesizer und Pfeiftönen. Bei all seiner poppigen Buntheit erweist sich "Penthesilea/Begräbnis" also doch als filigraner Abend, der insgesamt doch mehr subtile Kraft entwickelt, als er oberflächlich zugibt. (Margarete Affenzeller, 13.2.2023)