Sexappeal, aberwitzige Körperbeherrschung, Hang zur Selbstironie und ein Grinser, gegen den Widerstand zwecklos ist: Das freundliche Muskelpaket Channing Tatum.

Foto: Danny Moloshok/Invision/AP

Kreischende Frauen sind die Energie, die Bands nährt, schrieb Musikkritikerin Caitlin Moran in ihrem Roman How to Be Famous zu der Macht weiblicher Fans. Im Fall von Channing Tatum haben Frauen sein schauspielerisches Talent erkannt – 2006 im Tanzfilm Step Up, Regie führte Choreografin Anne Fletcher. Channing Tatum, der Freestyle-Tänzer von der Straße ohne Ausbildung, spielte einen Tänzer von der Straße, der zum Sozialdienst in einer Tanzschule verdonnert wird und dort Ausbildung und Tanzpartnerin findet.

Kann man Filmstar werden auf Basis von Körperbeherrschung und kiloweise Leinwandcharme? Tatum konnte. Wie fing das an? Gut im Sport, unkonzentriert in der Schule, hatte der junge Mann am Bau genauso gearbeitet wie im Verkauf. In Florida wurde er Ende der 1990er Stripper in einem Nachtklub, die Moves hatte er sich selbst beigebracht. Später modelte er unter anderem für Armani und Dolce & Gabbana, tanzte kurz in einem Ricky-Martin-Video und bekam eine erste Minirolle in CSI: Miami. So weit, so Klischee.

Drogen und Welpen

Zum Superstar machte 2012 Tatum seine eigene Story, das Drehbuch zu Steven Soderberghs Magic Mike schrieb Tatum mit Reid Carolin: Es geht um einen als Dachdecker jobbenden Stripper mit beruflichen Ambitionen und seine sympathische Crew (mit Matthew McConaughey als Club-Chef). Sie ziehen mit Partydrogen, der Begeisterungsfähigkeit junger Welpen und der Unsterblichkeit der Jugend ziellos durch das kleinkriminelle Nachtleben Miamis. Zwischendurch lassen sie sich von glücklichen Frauen mit Geldscheinen bewerfen.

Magic Mikes legendärer Tanz zum Song "Pony"
Warner Bros. Pictures Latinoamérica

2015 brachte das Sequel Magic Mike XXL das Kunststück zustande, sein Publikum nicht vorzuführen, derweil es ihm mit Augenzwinkern gab, was es wollte: Channing Tatum in einer Tischlerwerkstatt im Unterleiberl mit einer Bohrmaschine zum Song Pony. Der Film verstand: Traumerfüllung ist Arbeit und erwächst aus einer gewissen Ernsthaftigkeit. Es geht nicht zuletzt um "Consent", um Selbstbestimmung und um Männer, die – auch untereinander – in der Lage sind, Gefühle zu kommunizieren.

Komödie und Weltall

Nach vielen freundlichen Kraftlackelrollen folgte das Arthouse-Zertifikat: 2015 besetzte ihn Tarantino in The Hateful Eight, 2016 folgte ein Auftritt in Hail, Caesar! von Joel und Ethan Coen als stepptanzender Matrose. Spätestens bei Bennett Millers Drama Foxcatcher über einen Wrestler und dessen mörderischen Coach stellte sich die "Der kann ja auch schauspielen!"-Erkenntnis auch bei jenen ein, denen kreischende Frauen nicht als Gütesiegel gelten. Derweil wurden Magic Mike-Liveshows weltweit zum Erfolg.

Von der Krach-Comedy (21 Jump Street) bis zur Hillbilly-Heist-Comedy (Logan Lucky) und Weltall-Aberwitz (Jupiter Ascending): Tatum war überall. Die nächste Rolle, auf die er nicht warten wollte, schrieb er sich mit Co-Regisseur und -Produzent Reid Carolin gleich wieder selbst: Dog von 2022. Ein Veteran muss einen kriegstraumatisierten Hund quer durch ein paar US-Bundesstaaten führen.

Channing Tatum mit Salma Hayek in "Magic Mike’s last Dance".
Foto: Warner

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Dazwischen geht’s um Männlichkeit in der Krise, um Klassenunterschiede. Es gibt eine liebe Begegnung mit kopflastigen polyamoren Studentinnen. Natürlich ist der Hund eine Metapher für den Mann. Und gleich fällt einem auf, wie rar Filme über Männer sind, die kein Arschloch mehr sein wollen, ohne dass Frauenfiguren die Erziehungsarbeit leisten müssen.

In einer perfekten Welt würde jetzt ein hymnischer Verweis auf den aktuellen Film Magic Mike’s Last Dance folgen, aber die Nachwelt wird hoffentlich das Mysterium klären können, wie der Film trotz Originalteams, Tatum und der Leinwandgöttin Salma Hayek zu einer lieblosen, inhaltsleeren Nummernshow mit schlechten Dialogen wurde. Doch das Versprechen Channing Tatum gilt: Die Zukunft verheißt ein untitled Lady Macbeth Musical (!), einen Monsterfilm und eine Komödie über zwei in Las Vegas gestrandete Piloten mit Joseph Gordon-Levitt. Vorfreude ist die beste Freude. (Julia Pühringer, 12.2.2023)