Dietmar Pröll und Silke Buchholz in "Wunsch und Widerstand".

Foto: Anja Köhler

Jurist, Schriftsteller, Künstler. Wehrmachtssoldat, Halbjude, KZ-Überlebender: Der Vorarlberger Max Riccabona hat ein Leben zwischen Wunsch und Widerstand geführt – so auch der Titel des Theaterstücks, das jetzt am Vorarlberger Landestheater Bregenz uraufgeführt wurde. Intendantin Stephanie Gräve setzt mit dem Auftragswerk ihre Reihe fort, in jeder Spielzeit Vorarlberger Themen auf die Bühne zu bringen.

Wie viel erträgt ein Mensch?

Der Wiener Dramatiker Thomas Arzt, der für das Landestheater bereits mit Hollenstein, ein Heimatbild und Die Verunsicherung Stücke verfasste, erzählt Riccabonas Leben in einem großen Bilderbogen. Geboren 1915, gestorben 1997 – es gibt einige in Vorarlberg, die sich an den Künstler und das Original erinnern. Er konnte die Kanzlei des Vaters nicht weiterführen, wurde teilentmündigt, die letzten 30 Jahre verbrachte er in einem Heim.

Wie viel erträgt ein Mensch? "Fantasie wächst über die Grausamkeit hinaus", sagt Riccabonas Vater einmal. Regisseur Stefan Otteni verwendet diesen Satz als immer wiederkehrendes Leitmotiv. Er zeigt, wie sich Riccabona mit fantastischen Geschichten vor dem Wahnsinn des Erlebten rettete. Bis heute ist vieles aus seinem Leben unklar: Was hat er erdacht, was war real? Begegnete er wirklich James Joyce, Josef Roth, Ezra Pound?

Albträume vom KZ Dachau

Dietmar Pröll spielt den alten Max Riccabona mit großer Intensität. Prall vor Lebenslust sitzt er in der Bar und verlangt nach Schnaps. Erzählt dem Barkeeper Anekdoten, dem Publikum einen Witz, will alle auf eine Lokalrunde einladen. Doch die Albträume der Vergangenheit schlagen immer wieder zu. Pröll zeigt den Zerfall eines Menschen, der nur in der Kraft der Fantasie Frieden findet.

Ausstatter Matthias Strahm hat die Bühne zweigeteilt. Vor dem roten Theatervorhang die Bar, mit Hockern, Tischen und einem Pianisten. Der rote Vorhang öffnet sich, auf der Bühne ein großer leerer Raum, der mit wenigen Versatzstücken auskommt. Ein turmhohes Regal voller Aktenordner markiert Gericht oder Kanzlei. Die Drehbühne wird zum Zug, der den jungen Max zum Studium nach Graz und später ins KZ nach Dachau bringt. Absolute Dunkelheit und gleißendes Licht markieren die Foltermethoden des KZ-Arztes.

Panorama einer Nazi-Kleinstadt

Autor Thomas Arzt lässt der Vorgeschichte etwas viel Raum, die Eltern von Max Riccabona, die Geschäftspartner, der Onkel, die Tratschweiber, das ganze Panorama einer Kleinstadt im Nationalsozialismus, wie die Familie unter den "Rassegesetzen" beinahe zugrunde ging. Dietmar Pröll als alter Max Riccabona wird zum Zuschauer seiner Vergangenheit, als säße er im Theater seines eigenen Lebens.

"Angenommen, es ist gar nichts wahr, würden Sie es trotzdem hören wollen?", fragt der alte Riccabona zu Beginn. Ja, wir wollen. Denn Arzt, Otteni und das stark aufspielende Ensemble zeichnen einen Menschen, der im Wahnsinn des Faschismus Fantastereien fand, um zu überleben. (Julia Nehmiz, 14.2.2023)