CO2-Zertifikate sind offenkundig wirkungslos, eine Minderheit von Überverbrauchern verliert das Gemeinwohl aus dem Blick, sagt Gemeinwohlexperte Christian Felber in seinem Gastkommentar. Wäre ein Umweltkonto für jeden Menschen eine Lösung?

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Würde ein ökologischer "zweiter Preis" zu einer Reduktion von Flugreisen führen? Und wäre das gerecht?
Illustration: Getty Images

In die Klimadebatte kommt Dynamik. Recherchen der Zeit, der Wirtschaftswoche und des Magazins Flip haben gezeigt, dass viele der beliebtesten CO2-Zertifikate wirkungslos sind, seien es die des Weltmarktführers Verra oder selbst jene der Uno. Gleichzeitig machte der Klimaexperte Hans Joachim Schellnhuber im ARD-Monitor einen bahnbrechenden Vorschlag für individuell begrenzte Emissionsbudgets, konkret dass "jeder Mensch drei Tonnen CO2 pro Jahr kriegt".

Für den Schellnhuber-Vorstoß spricht eine Reihe von Argumenten. Alle bisherigen Maßnahmen reichen nicht annähernd aus, um den Wachstumstrend umzukehren und das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Der globale Ressourcenverbrauch hat sich seit 1970 vervierfacht, die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre erreichte 2021 und 2022 neue Rekorde, im Vorjahr wurden von den neun planetaren Grenzen Nummer fünf ("green water" alias Bodenfeuchtigkeit) und sechs ("neue Entitäten", konkret Mikroplastik) überschritten.

Überverbrauch der wenigen

Die Klimafrage ist eine globale und intergenerationale Gerechtigkeitsfrage: Während der Durchschnittskonsum einer Inderin problemlos auf acht Milliarden Menschen globalisierbar wäre, würde dies im Falle der durchschnittlichen Deutschen oder Österreicherin mehrere Planeten Erde erfordern. Nur eine wohlhabende Minderheit lebt stark über ihre ökologischen Verhältnisse, und entgegen aller Effizienz-, Verzichts- und Reduktionsrhetorik feiert der Luxuskonsum fröhliche Urständ: Die Zahl der Privatflüge legte im Vorjahr in Deutschland um zehn Prozent zu, Rolls-Royce steigerte seinen globalen Absatz um acht Prozent, die neue Privatyacht von Amazon-Gründer Jeff Bezos kostet eine halbe Milliarde US-Dollar, und der Jet von Sängerin Taylor Swift emittierte in nur sieben Monaten 8300 Tonnen CO2: Aufs Jahr gerechnet ist das 4.700-Fache des Schellnhuber'schen Pro-Kopf-Budgets.

Sängerin Taylor Swift sammelt als Vielfliegerin Klima-Malus-Meilen.
Foto: Reuters/David Swanson
Ebenso Amazon-Boss Jeff Bezos mit seiner Yacht. Soll das sanktioniert werden?
Foto: APA/AFP/Baradat

Am Klima zeigt sich, wie eine "Tragödie der Allmende" funktioniert: Gibt es keine verbindlichen und wirksamen Nutzungsregeln für ein Gemeingut, wird es zerstört. Genauer: von einer Minderheit von Überverbrauchern, die das Gemeinwohl aus dem Blick verlieren. Die Wissenschafterin Elinor Ostrom hat gezeigt, dass dies kein Schicksal ist. Gemeingut kann bewahrt werden und zum Nutzen aller funktionieren, wenn es für alle gleiche Zugangsrechte gibt und Regelverstöße sanktioniert werden.

Ein zweiter, ökologischer Preis

Die Umsetzung der Schellnhuber'schen Idee könnte zum Beispiel so funktionieren: Alle Menschen erhalten ein Umweltkonto, auf das jährlich das individuelle Budget aufgebucht wird. Bei jedem klimarelevanten Konsum wird nicht nur der finanzielle, sondern auch ein "zweiter Preis" (Ökonom Niko Paech), der ökologische, abgebucht. Letzterer müsste für relevante Produkte berechnet und ausgewiesen werden.

Im Sinne eines planbaren Übergangs könnten im Jahr eins Yachten und Privatjets ökopreispflichtig sein, im Jahr zwei auch Flugreisen und SUVs, danach Tankfüllungen und die Stromrechnung und so weiter. Weder muss jedoch die Nachhaltigkeitstransparenz jeden Groschenkonsum erfassen, noch wird dadurch das Bargeld infrage gestellt. Eine einfache Lösung wäre, dass relevante Umweltverbräuche nicht mehr bar bezahlt werden können.

Ökodiktatur? Der Vorschlag ist genuin liberal

Bevor reflexhaft das Argument der Ökodiktatur bemüht wird: Dieser Vorschlag ist genuin liberal, weil alle Menschen, egal wo sie leben und welche Präferenzen sie haben, dieselbe Grundausstattung erhalten. Wie sie damit verfahren, wofür sie das Budget aufbrauchen, ob sie es denn aufbrauchen oder einer Klimaschutz-NGO schenken, die damit an internationalen Konferenzen teilnehmen kann, ist ihnen völlig freigestellt.

Das Klimabudget verhält sich wie das Wahlrecht: Wem ich meine Stimme gebe und ob ich zur Wahl gehe, ist meine private Entscheidung. Ich erhalte aber selbst dann nicht mehr Stimmrechte als andere, wenn ich länger studiert habe oder einen höheren IQ aufweise. Illiberal wäre es, wenn eine Minderheit der lebenden Generation sich herausnähme, so viel zu verbrauchen, dass die Mehrheit der lebenden Generation und alle Folgegenerationen geringere oder gar keine Lebenschancen mehr vorfänden.

Limitierte Zukäufe

Am Schellnhuber-Vorschlag muss noch vieles diskutiert werden: Wir haben nicht nur ein Klimaproblem, sondern neun planetare Grenzen. Dieser Vielfalt könnte man mit einer breiter gefassten Ökowährung wie dem "ökologischen Fußabdruck" beikommen. Außerdem müsste die öffentliche Infrastruktur eines Landes als Fixverbrauch auf alle Bewohnerinnen und Bewohner verteilt werden, damit nicht jeder Schul- oder Arztbesuch einen Ökopreis erhält. Drittens könnten die historischen Verbräuche in den Hochverbrauchsländern vom dortigen Budget abgezogen werden, um auch den Globalen Süden schneller ins Boot zu bekommen. Ein Vorausgang des Nordens ist zwar denkbar, eine globale Lösung wäre aber besser.

Auf den vielleicht wichtigsten Fallstrick weist die Publizistin Ulrike Herrmann hin: Wären diese Budgets auch handelbar, könnten die Reichsten sich die nötigen Kontingente einfach zukaufen – was Bezos und Swift vermutlich wenig beeindrucken, aber die Akzeptanz des Projekts untergraben würde. Eine Lösung könnte dahin gehen, dass die Reichsten maximal zwei oder drei Jahresbudgets von den Ärmsten zu definierten Preisen zukaufen könnten, wodurch sie "weicher landen" würden und die Ärmsten aus der schlimmsten Armut kämen. Das wäre eine sozial-ökologische Win-win-Lösung zwischen Nord und Süd.

Kein Entwurf wird alle glücklich machen, aber die Alternative zu Pro-Kopf-Budgets ist die Tragödie der globalen Klima-Allmende. Der damit verbundene Verlust und Verzicht ist sicher schmerzhafter als eine möglichst gerechte Lösung für alle. (Christian Felber, 15.2.2023)