Alexander Van der Bellen ist gerade nicht in seiner Loge. Vielleicht hat er sich kurz hinausgestohlen, um eine schnelle Zigarette zu rauchen. Sein Abend ist dicht getaktet. Erst wenn der Bundespräsident seinen Platz eingenommen hat, beginnt die Eröffnung des Opernballs.

Für Karl Nehammer war es der erste Auftritt in der Regierungsloge als Kanzler.
Foto: Regine Hendrich

Danach stehen Wirtschaftstreibende, Staatsgäste, Manager, Berühmtheiten und Journalistinnen Schlange, um ein paar Minuten in der Präsidentenloge mit Blick über den Ballsaal zu verbringen; zwei, drei Sätze mit Van der Bellen zu wechseln.

Es wird getanzt, getrunken und gefeiert.
Foto: Regine Hendrich

Unten auf dem Parkett ist die Stimmung prächtig; es wird getanzt, gelacht, es gibt Sekt und Champagner, die Unterhaltungen sind unverfänglich, die Roben bunt und pompös – alles Walzer, alles gut?

Nicht ganz.

"Das Draußen" ausblenden

Auf dem Gang vor der Präsidentenloge hat sich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka zu einer Gruppe Journalistinnen gestellt. Auf dem Opernball sei er schon oft gewesen, sagt er, doch heuer sei alles irgendwie anders als sonst. Die Jahre der Pandemie, der Krieg, die Teuerung – man könne "das Draußen" nicht ausblenden, er jedenfalls könne das nicht. "Ich bin rein aus Pflichtbewusstsein da", sagt Sobotka. Nach Tanzen sei ihm nicht.

Die Debütantinnen und Debütanten des Opernballs.
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Die Karten für den 65. Wiener Opernball sind so teuer wie noch nie. 350 Euro kostet der Eintritt in der Schmalspurvariante – ohne Sitzplatz, ohne Tisch, ohne Getränke, natürlich auch ohne Loge. 35 Euro des Ticketpreises werden gespendet – ein "Solidaritätsaufschlag". Der Opernball weiß über seine eigene üppig-österreichische Dekadenz Bescheid und fühlt sich offenbar nicht mehr ganz wohl damit.

Nicht alle wollen tanzen: Lena Schilling protestierte auf dem Red Carpet für das Klima.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Vor der Staatsoper stehen Polizisten in Grüppchen. Der Ring ist abgesperrt, der Verkehr umgeleitet. Plötzlich laufen zwei Aktivistinnen auf den roten Teppich. Eine davon: Lena Schilling, die zum Gesicht der Lobau-bleibt-Besetzung wurde. Sie hält ein Banner vor ihre Robe: "Ihr tanzt, wir brennen" steht darauf.

Unterstützung erhielten die Aktivisten von Michael Ostrowski.
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Daneben wartet der Schauspieler Michael Ostrowski mit weißer Schärpe und dem Schriftzug "Power to the People". Zur selben Zeit ziehen ein paar Dutzend Demonstranten vom zehnten Bezirk Richtung Innenstadt. "Was macht der Regierung Dampf? Klassenkampf, Klassenkampf", rufen sie.

Gleichberechtigung in der Loge

In der Oper steht Doris Schmidauer, Van der Bellens Frau, an der Brüstung der Loge und schaut auf die walzenden Paare. Ihr Thema ist die Gleichberechtigung. In einem Fernsehinterview hat sie gerade erklärt, welchen Aufholbedarf Österreich diesbezüglich noch habe: Frauen erledigen den Großteil der unbezahlten Arbeit, in bezahlten Jobs verdienen sie schlechter. Noch immer. Ihr Statement sei durchaus als Beitrag zur derzeit laufenden Debatte über Teilzeitarbeit zu verstehen, sagt sie. Schmidauer ist ein hochpolitischer Mensch, sie gilt als engste Beraterin ihres Mannes.

Doris Schmidauer und Buhlschaft Verena Altenberger unterhielten sich in der Präsidentschaftsloge.
Foto: Regine Hendrich

Der Opernball-Veteran Richard Lugner und sein Stargast Jane Fonda haben im Parterre ihre Loge, links. Die Schauspielerin wird vom Unternehmer bezahlt, damit sie den Abend lang neben ihm sitzt – bis Punkt 24 Uhr. Fonda, eine glühende Klimaaktivistin, entpuppt sich als "unguided missile". Vor Ort verweigerte sie die meisten Interviews. Nur so viel ließ die 85-Jährige wissen: "Ich wäre nicht gekommen, wenn ich gewusst hätte, dass die OMV hier Sponsor ist." Die Staatsoper sei eine "kostbare Perle", die vor solchen Konzernen geschützt werden müsse.

Jane und der Präsident

Ein Stockwerk höher kehrt Alexander Van der Bellen in seine Loge zurück für sein nächstes Gespräch. Im Drei-Minuten-Takt wechseln seine Gäste. "Kulturinstitutionen brauchen Sponsoren", verteidigt der Präsident die Staatsoper. Wer das ist, könne man sich nicht immer aussuchen.

Jane Fonda war erst bei Richard Lugner, dann bei Alexander Van der Bellen in der Loge.
Foto: Regine Hendrich

Van der Bellen habe den Ball schon vermisst, zwei Jahre lang war er pandemiebedingt ausgefallen. "Alles hat sich verändert", sagt der Bundespräsident. "Aber es ist auch wichtig, zur Normalisierung zurückzufinden."

Für die Demonstranten vor der Tür habe er durchaus Verständnis. "Heute bin ich 79 Jahre alt, aber wie war ich mit 22?" Auch er sei einst auf die Straße gegangen. Hinter so manchem Engagement stehe er bis heute – etwa dem Einsatz gegen den Vietnamkrieg. Das hat er mit Fonda gemeinsam. Sie besuchte 1972 sogar Hanoi. An diesem Abend in Wien zieht es sie in Van der Bellens Loge. Das Foto, das bei ihrem Besuch entsteht, ist das einzige, dass der Präsident später über den Ball posten wird. "Jane hat recht: Wir müssen so rasch wie möglich raus aus unserer Abhängigkeit von fossilen Energien", schreibt er. (Oona Kroisleitner, Katharina Mittelstaedt, 17.2.2023)