"Für alle einen oder zwei Euro weniger – was bringt das?" Wirtschaftswissenschafter Dobusch vermisst eine soziale Staffelung der Haushaltsabgabe.

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Wien – Das Lob zuerst: Wirtschaftswissenschafter Leonhard Dobusch begrüßt die Entscheidung für eine Haushaltsabgabe zur Finanzierung des ORF. "Das stärkt die Unabhängigkeit und den solidarischen Charakter der Finanzierung", erklärt der Gründer des sozialliberalen Momentum-Instituts und Mitglied des ZDF-Verwaltungsrats. Aber Dobusch äußert einige Kritik an der ORF-Politik mit "Rabatt"-Forderungen der Medienministerin.

"Für alle einen oder zwei Euro weniger – was bringt das?"

Der Betriebswirt hinterfragt die Vorgabe, der ORF müsse bei einer Haushaltsabgabe mit weniger Mitteln pro Haushalt (bei mehr Zahlungspflichtigen) auskommen: "Für alle einen oder zwei Euro weniger – was bringt das?" Dobusch empfiehlt einen ermäßigten Tarif für einkommensschwächere Haushalte, die aber über den Richtwerten für eine Befreiung liegen. "So zahlt der Millionär genauso viel wie der Hackler."

Dobusch "will nicht wissen", mit welchen Deals im Hintergrund die Entscheidung für die Haushaltsabgabe verbunden ist. Interesse der Medienpolitik an einem starken, unabhängigen Rundfunk dürfte da nicht im Vordergrund gestanden sein, vermutet er im Gespräch mit dem STANDARD. Die Sparvorgaben der Medienministerin für den ORF interpretiert er als Versuch der Schwächung eines Rundfunks, den man "nicht genug unter Kontrolle gebracht hat". Oder es gehe um eine grundsätzliche Schwächung des ORF mit dem Ziel, öffentlich-rechtliche Medien zugunsten privater Medien "rückzubauen".

Füllhorn und Sparvorgaben

Der Betriebswirt und Jurist stellt eine 2022 erstmals vergebene private Medienförderung der aktuellen ORF-Debatte gegenüber: "Die Regierung schüttet mit dem Füllhorn Digitaltransformationsförderung an private Medienhäuser aus, ohne genau hinzuschauen, was da gefördert wird, während man vom ORF hunderte Millionen Kürzung verlangt in einer Zeit, wo man in die digitale Transformation investieren müsste."

2022 wurden 54 Millionen Euro an Digitaltransformationsförderung ausgeschüttet, ab 2023 sind es regulär 20 Millionen Euro pro Jahr. Der ORF nimmt mit GIS-Gebühren bisher 676 Millionen Euro (für 2023 geplant) ein, die Haushaltsabgabe für den ORF ab 2024 dürfte Mittel in zumindest ähnlicher Höhe einspielen. ORF-General Roland Weißmann legte auf öffentliches Drängen der Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) ein 300-Millionen-Sparpaket vor, dem die ORF-Finanzierung des Radio-Symphonieorchesters, ORF Sport Plus als Rundfunkprogramm sowie die ORF-Streamingportale Flimmit und Fidelio zum Opfer fallen sollen.

"Ganz viel Geld aus der Digitaltransformationsförderung geht an den Boulevard", kritisiert Dobusch, zusätzlich zu im internationalen Vergleich sehr hohen öffentlichen Werbebuchungen bei Boulevardmedien. Wenn man öffentliche Mittel sparen wolle, dann bei aus Steuergeld finanzierten Werbebuchungen, findet der Wirtschaftswissenschafter.

Zeitgemäßes digitales Angebot

Aber ist Sparen für ein über Jahrzehnte gewachsenes, öffentlich-finanziertes Medienunternehmen nicht sinnvoll? "Große Organisationen können immer noch effizienter sein", natürlich gebe es in jeder großen Organisation unausgeschöpfte Effizienzpotenziale, räumt Dobusch ein. Aber diese Potenziale seien Reserven, um Krisensituationen oder auch Transformation abzufedern, argumentiert er: "Man nimmt dem ORF Spielräume, um sich digitaler aufzustellen. Und zugleich schuf der Gesetzgeber bisher keine Rahmenbedingungen für ein zeitgemäßes digitales Angebot."

Mit der neuen Finanzierung sollen in einer ORF-Novelle auch die Möglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks online erweitert werden. Der ORF will eigens für sein Online-Angebot Formate und Inhalte produzieren dürfen – bisher ist online only nur in Ausnahmen möglich – und auch (mehr) auf Social Media ausspielen. Private Medienhäuser verlangen einen Rückbau des Textangebots online und verweisen auf schon im aktuellen Gesetz verbotene "zeitungsähnliche" Angebote und Beschränkungen auf "Überblicksberichterstattung". ORF-Chef Roland Weißmann hat im Herbst 2022 angeboten, die Textberichterstattung auf ORF.at zu halbieren. Einschränkungen von ORF.at, wie sie diskutiert wurden, lehnt Dobusch ab. (fid, 22.2.2023)