Sechs Performerinnen bevölkern zweieinhalb Stunden lang die Unterwelt der Claudia Bosse.

Foto: Markus Gradwohl

Steine und Knochen. Das hört sich erst ein wenig makaber oder nach dem Namen einer Pop-Combo an. Aber als Titel einer Performance von Claudia Bosses Theatercombinat im Tanzquartier Wien löst Bones and Stones sofort die Erwartung aus, dass da tiefer als üblich in unser Naturverständnis hineingegraben wird.

Und tatsächlich, die produktive Regisseurin und Choreografin liefert mit der Uraufführung eine der überzeugendsten Arbeiten im aktuellen Performancegeschehen. Um das zu erfahren, steigt das Publikum hinab in den Hades der Halle G im Museumsquartier, wo aus einem von zwei konischen Ziegelöfen (oder stilisierten Vulkanen) ein von elektronischem Sound durchknisterter Dampf aufsteigt, der diese Unterwelt dicht vernebelt.

Beweisstücke der Erdgeschichte

Um sich zu akklimatisieren, braucht man Zeit – und die wird zur Verfügung gestellt, bevor sechs Performerinnen auftauchen. Sie machen sich daran, die Öfen abzubauen und deren Ziegel im Raum zu verteilen, formen eine lebendige Landschaft aus ihren Leibern und holen in der Folge steinerne und knöcherne Beweisstücke der Erdgeschichte und der Evolution auf die Bühne.

Eine Stimme erinnert an das Entstehen der Erde – nicht mit mythischen Märchen, sondern provokant mit einer kurzen Wissenschaftserzählung. Nicht nur hier wird versucht, das Zeitgefühl des Publikums auf lange Perioden auszurichten. Das tut auch die zweieinhalbstündige Performance selbst, in deren tribünenlosem Setting sich Besucher und Akteurinnen miteinander vermischen.

Dabei bleiben die Performerinnen ganz unterschiedlichen Alters – darunter Anita Kaya, Marcela San Pedro und Christa Zuna-Kratky – zwar fast durchgehend unbekleidet, wirken aber nie entblößt. Souverän überlässt das Sextett seine Körper dem Schauen des Publikums und dekontaminiert so dessen Blick: Es triggert den Abbau des darin von der Unterhaltungsindustrie abgelagerten Giftmülls aus smarten oder schrillen Hochleistungskörper-Klischees.

"Mineralische Verwandtschaft"

Eine Performerin, Carla Rihl, macht darauf aufmerksam, dass sich "die Wirklichkeit" nicht aus festen Objekten, sondern "aus Prozessen und deren Beziehungen untereinander" zusammensetzt. Natürlich wissen wir, dass alles Feste dynamisch ist und sich unsere Körper auf atomarer Ebene vor allem aus Interaktionen in vorwiegend leerem Raum zusammensetzen. Was es aber bedeutet, dass Knochen und Steine sozusagen eine "mineralische Verwandtschaft" miteinander haben, ist vielleicht nicht allen klar.

In Bones and Stones entsteht aus der künstlerischen Verknüpfung zwischen nackten Steinen und bloßen Körpern ein Tanz des Umdenkens und des Neuausrichtens der Wahrnehmung: Natur ist nicht mehr der zu besiegende Feind oder Motiv für romantische Verklärung, sondern ein Lebensraum aus Abläufen, in denen das Tote und das Lebendige ineinandergreifen.

Glücklicherweise beschränkt Claudia Bosse alles Didaktische auf ein Minimum und setzt in gekonnter Dramaturgie vor allem auf die Wirkung des Vorgeführten, auf Günther Auers exzellente Live-Klänge und das hinreißende Licht von Paul Grilj. (Helmut Ploebst, 24.2.2023)