13. März 1848 in der Wiener Herrengasse: Adolf Fischhof redet, Hans Kudlich wird durch einen Bajonettstich verletzt. Beide Ärzte prägen die Revolution – der eine wird verhaftet (und wieder freigelassen), der andere flieht in die USA.

Der 13. März 1848 war ein schöner Montag in der Wienerstadt. Es war auch der Geburtstag des zwar längst verstorbenen, aber immer noch populären Reform-Kaisers Joseph II. (13. März 1741 bis 20. Februar 1790). In Wien hat man Sinn für solche Symbolik. Viele Arbeiter machten blau, viele Bürger spürten den Geist der Veränderung – und lasen auf Seite eins der Wiener Zeitung von einem Beschluss der deutschen Bundesversammlung, dass "jedem deutschen Bundesstaate freigestellt (wird), die Censur aufzuheben und Preßfreiheit einzuführen". Das war eine der Forderungen, die in diesen Tagen auch in Wien kursierten. Sie war unter anderem in einer vom Advokaten Alexander Bach formulierten "Bürgerpetition" enthalten, die an diesem Montag im Haus der niederösterreichischen Stände verlesen werden sollte.

Also zog es viele Wiener in die Herrengasse. Das große Tor zum Landhaus stand offen, eine Gruppe von Studenten stürmte hinein. Der junge Arzt Adolf Fischhof forderte in einer begeistert aufgenommenen Rede Dinge, die uns heute selbstverständlich erscheinen: neben der Pressefreiheit auch Lehr- und Lernfreiheit, Religionsfreiheit und Schwurgerichtsbarkeit. Bejubelt wurde auch die Forderung, die Staatsfinanzen offenzulegen und zu kontrollieren – alles, was die seit Jahrzehnten von Staatskanzler Klemens Wenzel Lothar von Metternich (1773–1859) geführte Regierung bisher abgelehnt hatte.

Landhaus-Besetzung

Gegen elf Uhr vormittags besetzten immer mehr Menschen das Landhaus, warfen Möbel auf die Straße und verbreiteten eine revolutionäre Stimmung. Das blieb auch in der nahen Hofburg nicht unbemerkt – dorthin hatte sich ein Demonstrationszug auf den Weg gemacht. Seit Tagen hatte die Regierung von Kaiser Ferdinand (man nannte ihn den "Gütigen") den Inhalt der Bürgerpetition gekannt, war am Sonntagabend auch bereit gewesen, ein wenig nachzugeben. Was aber nicht bekanntgegeben wurde, da die Regierung sich vor "demagogischen" Schritten hüten wollte. Schließlich hatte der Leiter der Polizei- und Zensurhofstelle, Josef von Sedlnitzky, stets gemeldet, dass die Polizei Herr der Lage sei. War sie aber nicht. Also sollte an jenem Mittag das Militär für Ordnung sorgen.

Stadtkommandant Erzherzog Albrecht ritt an der Spitze der in den Vorstädten stationierten Truppen in die Innenstadt. Es waren vor allem in Norditalien ausgehobene Soldaten, die nicht Deutsch verstanden und die Anliegen der aufgebrachten Bürger und Arbeiter nicht verstehen konnten. Als der Erzherzog von einem Stein getroffen wurde, den einer der Demonstranten geworfen hatte, ließ er schießen. Es gab die ersten Toten.

Angst vor der eigenen Courage

In der Hofburg: Angst. Draußen: Verwirrung und Unsicherheit. War man zu weit gegangen? Oder konnte man die bürgerlichen Freiheiten jetzt einfach in die Hand nehmen? Und: Würde man die einmal begonnene Revolution selbst in den Griff bekommen, bevor sich vielleicht wütende Arbeiter gegen die Fabrikanten und das Bürgertum stellen würden? Denn das hatte derweil vor den Stadtmauern begonnen: Dort war die blanke Not zu spüren – die bürgerliche Revolution war eben durchaus auch eine proletarische.

Das lag daran, dass es in der Zeit, die fortan "Vormärz" genannt werden sollte, an allem mangelte – nicht nur an bürgerlichen Freiheiten, sondern auch an Geld und nicht zuletzt an Essen. Die Jahre 1846 und 1847 waren europaweit durch eine große Hungersnot geprägt. Witterungsbedingte "Missernten" und die seit 1844 grassierende Kartoffelfäule dezimierten die Vorräte an Grundnahrungsmitteln. Die Teuerung machte es besonders unausgebildeten Handwerkern und Hilfsarbeitern unmöglich, ausreichend Nahrung zu kaufen – gleichzeitig schwanden angesichts der durch technischen Fortschritt möglichen Rationalisierung im Arbeitsprozess die Verdienstmöglichkeiten.

Kommunistische Aufstände

Ein deutscher Journalist ließ am 21. Februar 1848 in London – fernab der Zensur im deutschsprachigen Raum – ein "Manifest der Kommunistischen Partei" drucken. Sein Name: Karl Marx. Sein Aufruf: "Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" Am 23. Februar, noch hatte der Text keine Leser auf dem Kontinent erreicht, brach in Frankreich die Revolution aus. Dort wurde der "Bürgerkönig" Louis-Philippe abgesetzt und die Zweite Republik ausgerufen.

Die Nachrichten davon erreichten reformorientierte Bürger in den deutschen Landen – zu denen sich auch Teile der Habsburgermonarchie zählten. Und sie erreichten nationalistisch gesinnte Bewohner in den anderen Teilen der Monarchie. Aufstände überall.

Wobei der Wiener Aufstand ein besonderes Feindbild hatte: Metternich. Der sollte abtreten, bis 21 Uhr – so lautete die Forderung am 13. März. Und bei Hofe war man sich darüber im Klaren: Hier musste man nachgeben. Wie man überhaupt den Revolutionären nachzugeben bereit war, um den eigenen Kopf und die Macht des Kaiserhauses zu sichern. Erzherzogin Sophie, Mutter des damals noch keine 18 Jahre alten Erzherzogs Franz (der nach Niederschlagung der Revolution bis 1916 als Kaiser Franz Joseph bekannt wurde), drängte besonders auf Erfüllung der Forderungen – sie sah richtigerweise Chancen für eine spätere Machtübernahme ihres Sohnes.

Ordnung muss sein

Aber noch war es lange nicht so weit. Noch schreibt man den 13. März. Bürger bewaffnen sich. Sebastian Jenull, der Rektor der Universität, kommt am Nachmittag in vollem Talar in die Hofburg und verlangt erfolgreich die Bewaffnung der Studenten. Polizei und Militär hatten ja versagt, jetzt wollten die Bürger mit ihrer Nationalgarde und Studenten mit der Akademischen Legion selbst für Ordnung sorgen. Eine Ordnung, die den Besitz schützen, Plünderungen und Ausschreitungen in den Vorstädten hintanhalten sollte. Dort herrschten inzwischen chaotische Zustände – während Metternich endlich die ersehnte (und an den Kaiser adressierte) Rücktrittserklärung verlas. Die anwesende Delegation der Revolutionäre soll recht perplex über den eigenen Erfolg gewesen sein. Eine Nacht lang herrschte Chaos. 35 Tote waren an den ersten beiden Tagen der Revolution in Wien zu beklagen – heute ist der Achtundvierzigerplatz im 14. Bezirk nach diesen "Märzgefallenen" benannt.

Die erste revolutionäre Welle ebbte rasch ab – nicht zuletzt, weil zwar ein demokratischer, nicht aber ein republikanischer Funke nach Wien übergesprungen war. Man wünschte sich eine verantwortliche Regierung – nur: Wem sollte diese eigentlich verantwortlich sein, wenn der eigentliche Souverän der Kaiser war? Dem Kaiserhaus waren die meisten Revolutionäre loyal verbunden. Noch im Oktober 1848, kurz vor der endgültigen Niederschlagung des Wiener Aufstands, beharrte Wenzel Georg Messenhauser, der Kommandant der hiesigen Nationalgarde, darauf, dass er keine Rebellion gegen den Kaiser dulde.

Revolutionstourist Marx

Mit der Demokratie war es auch so eine Sache: Das Volk musste erst um sein Selbstverständnis ringen. Ein allgemeines gleiches Wahlrecht war nicht bei allen Trägern der Revolution erwünscht (es kam erst 1919 in der Republik) – und ob Volk gleichzeitig auch Nation bedeute, war ebenfalls umstritten. Die Wiener Märzrevolution wurde von großen Teilen des deutschsprachigen Bürgertums auch als großdeutscher Aufbruch verstanden – nicht nur in Wien, sondern auch in anderen Teilen des nach den Napoleonischen Kriegen geschaffenen Deutschen Bunds. Das revolutionäre Paulskirchenparlament in Frankfurt wählte dann Erzherzog Johann zum Reichsverweser.

Karl Marx kam am 27. August nach Wien, wo gerade Arbeiterunruhen und Proteste gegen Entlassungen Todesopfer gefordert hatten. Drei Tage später hielt er einen Vortrag über die internationale Arbeiterschaft im Saal "Zum Sträußl" des Theaters in der Josefstadt, und am 2. September sprach er zur Rolle der Lohnarbeit im kapitalistischen System. Er erzeugte viel Eindruck, aber wenig Wirkung.

Grundentlastung für Bauern

Etwa gleichzeitig beschloss der Reichstag das vom schlesischen Bauernsohn Hans Kudlich vorgeschlagene Grundentlastungspatent. Als eine der wenigen Errungenschaften der Revolution blieb die Bauernbefreiung unmittelbar nach deren Niederschlagung wirksam. Andere 1848 angestoßene Reformen kamen teils erst nach Jahrzehnten zur vollen Wirkung. Kudlich musste, wie viele andere Revolutionäre, die die Restauration des Absolutismus überlebt hatten, in die USA fliehen. Dort spielten viele "Forty-Eighters" weiter eine bedeutende Rolle: Sie trugen wesentlich zur Abschaffung der Sklaverei bei. (Conrad Seidl, 25.2.2023)