Es gebe nicht nur verstörende Szenen, auch seien die Figuren in dem Kurzfilm sehr einseitig charakterisiert, wodurch eine eindimensionale Idee "vom Bösen" genährt werde, kritisiert Kinderschützerin Anna Schwitzer.

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Ein junger Bursche wird gemobbt, sein Spielzeug zerstört. Zwei seiner Mitschüler attackieren ihn, entkleiden ihn bis auf die Unterwäsche und fesseln ihn. Dann stopfen sie ihm Regenwürmer in den Mund.

Die Qual löst Rachegelüste in dem Jungen aus: Er lockt einen seiner beiden Peiniger in ein brüchiges Haus und versucht, ihn umzubringen. Das missglückt, eine Erwachsene greift in letzter Minute ein. Am Ende freunden sich die zwei an und tanzen, während der Abspann läuft.

Diesen bizarren Kurzfilm sahen Kinder einer dritten Klasse Volksschule im Bezirk Mödling in Niederösterreich im katholischen Religionsunterricht. Die Moral, die sie dadurch lernen sollten, ist das fünfte biblische Gebot: "Du sollst nicht töten." Der Film ist einer von mehreren, die den Kindern die Zehn Gebote näherbringen sollen.

Eltern verärgert

Bei einigen Eltern sorgte das allerdings für einen Aufschrei. Die Acht- und Neunjährigen seien "verstört" aus der Schule gegangen. Ein Kind hätte geweint. Ein Vater erzählt dem STANDARD, dass sein Kind immer wieder merkwürdige Fragen gestellt hätte, etwa ob sich das tatsächlich zugetragen hätte und "warum Gott das zulässt".

Der Kurzfilm sei zudem nicht nachbesprochen worden, moniert der Vater. "Den Kindern wurden diese Filme vorgesetzt und zum Stundenende einfach abgebrochen", sagt er. Die Folge mit den Würmern sei mittendrin beendet worden, da die Unterrichtsstunde bereits vorbei war – ohne weitere Aufarbeitung.

"Volksschulkinder mit Angst und Schrecken zu manipulieren und ihnen mit einem strafenden, allmächtigen Gott zu drohen passt nicht in unser Weltbild", kritisiert er. Religion hätte aus seiner Sicht "nichts mit Unterwerfung, Selbstentfremdung und Bestrafung zu tun".

Kinderschützerin kritisiert Inhalt

Auch Kinderschützer sehen das Video kritisch: Es sei "sehr nachvollziehbar", dass Kinder verstört reagieren würden, sagt die Psychotherapeutin Anna Schwitzer vom Kinderschutzzentrum Wien dem STANDARD. Die Gewalt werde "äußert explizit und grausam dargestellt, weshalb der Clip nicht für Kinder geeignet ist". Eine Pädagogik, die mit Abschreckung arbeite, sei nicht zeitgemäß. Auch sei nicht klar, welche Botschaft den Kindern vermittelt werden soll: "Vom Opfer zum Täter zum besten Freund?"

Die Figuren seien sehr einseitig charakterisiert, wodurch eine eindimensionale Idee "vom Bösen" genährt werde, findet Schwitzer. Das beschreibe nicht die Realität. Um Kinder zu stärken, sollte die Haltung vermittelt werden, dass "Gewalt nicht toleriert wird, wir respektvoll miteinander umgehen und uns helfen, wenn jemand in Bedrängnis kommt". Bei Gewalt und Mobbing gebe es nicht nur einen Täter und ein Opfer, sondern viele andere Beteiligte. Daher sollte eine zeitgemäße Botschaft sein, dass Kinder, wenn ihnen etwas auffällt, hinsehen und Hilfe holen – "das hilft definitiv mehr als Abschreckung", sagt die Kinderschützerin.

Schulamt entschuldigt sich

Andrea Pinz, Leiterin des Erzbischöflichen Amts für Schule und Bildung in Wien – jenem Schulamt, das Lehrmaterial im katholischen Religionsunterricht zulässt –, zeigt sich auf STANDARD-Anfrage bedauernd. "Es tut uns leid, dass es zu Verstörungen bei Schülern und Schülerinnen gekommen ist, und wir bitten dafür die Familien um Entschuldigung", sagt sie. Der Film sei wohl für den Religionsunterricht zugelassen worden, weil die Evangelische Kirche in Deutschland die Produktion 2006 unterstützt hatte.

Man verstehe die Absicht der Produzenten, zu zeigen, dass es "selbst dann besser ist, keine Rache zu nehmen, wenn man wirklich Böses erlebt hat", so Pinz. Dennoch entspreche er nicht mehr den aktuellen Anforderungen der Religionspädagogik, "da er mit Abschreckung anstatt mit positiver Motivation zum Handeln im Sinn der Zehn Gebote vorgeht und die Zuschauenden mit nicht altersgemäßen Bildern verstören kann".

Aus dem Programm gestrichen

Daher wurde der DVD nun die Zulassung entzogen, der Film wurde aus dem Verleihprogramm gestrichen. "Sie war aber auch vorher schon kein verpflichtendes Unterrichtsmaterial für den katholischen Religionsunterricht und wurde nur selten angefordert", betont Pinz. Die Religionslehrerin werde sensibel mit den Verstörungen umgehen und mit den Kindern nacharbeiten. (Muzayen Al-Youssef, 3.3.2023)