Welches Tier ist schwerer: Maus oder Elefant? Die Antwort erscheint einfach, doch betrachtet man die Gesamtmasse aller lebenden Tiere, so ist die Sache weniger klar. Elefanten sind zwar schwerer, doch es gibt viel mehr Mäuse. Die Problemstellung erinnert an den alten Witz, in dem gefragt wird, was schwerer sei – ein Kilogramm Eisen oder ein Kilogramm Federn?

Ein Forschungsprojekt eines Teams aus Israel hat es sich zur Aufgabe gemacht, genau dieses Problem zu lösen und die Massen von Wildtierpopulationen abzuschätzen. Die dabei gewonnenen Ergebnisse wurden nun im Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences" publiziert – und sie verblüffen.

"Ich soll das schwerste Wildtier sein?", scheint dieser Weißwedelhirsch zu fragen. Laut einer neuen Studie hat seine Spezies in Summe tatsächlich die größte Masse aller Wildtiere.
Foto: REUTERS/Jeremy Cohen/University of Wisconsin-Madison

Im Labor des auf Biodiversität spezialisierten Ökologen Ron Milo untersuchten seine Kollegin Lior Greenspoon und sein Kollege Eyal Krieger zuallererst 392 Spezies wild lebender Säugetiere, für die eine gute Datenbasis zur Berechnung ihrer Biomasse vorhanden war. Auf Basis dieser Ergebnisse nutzte das Team Machine-Learning, um die Biomasse jener Säugetierspezies abzuschätzen, für die weniger gute Daten vorhanden waren. Der Zugang sah vor, die Daten der Hälfte der 392 Spezies zu verwenden, um damit einen Algorithmus zu trainieren und so die andere Hälfte abzuschätzen. Weil das richtige Ergebnis ja für alle 392 Spezies bekannt war, ließ sich so die Verlässlichkeit des Machine-Learning-Algorithmus durch Vergleich der Prognosen mit der Wirklichkeit überprüfen. Danach wurde die Methode eingesetzt, um die Biomasse von 4.400 weiteren Spezies zu schätzen.

Elefanten sind schwerer

Ein wichtiges Ergebnis lässt sich salopp so zusammenfassen: Elefanten sind tatsächlich schwerer als Mäuse. Ein Großteil der Masse der wild lebenden Säugetiere stammt von großen Tieren wie Wildschweinen, Kängurus, verschiedenen Arten von Hirschen und Rehen – und eben Elefanten. Die Hälfte tragen Paarhufer bei. Die zehn schwersten Spezies machen allein 40 Prozent der Biomasse von Wildtieren aus, und zwar 8,8 Millionen Tonnen. Nagetiere hingegen – Ratten und Mäuse im Umfeld von Menschen nicht eingerechnet – kommen auf 16 Prozent. Fleischfressende Tiere machen nur drei Prozent aus.

Die Spezies mit der größten Gesamtmasse ist der nordamerikanische Weißwedelhirsch, Fachbezeichnung Odocoileus virginianus. Seine Häufigkeit ist ein Erfolg für den Naturschutz: Nachdem die Besiedlung aus Europa der Population stark zugesetzt hatte, hat sich der Bestand inzwischen erholt und das Niveau früherer Zeiten erreicht. 45 Millionen Individuen bringen heute etwa 2,7 Millionen Tonnen auf die Waage. An zweiter Stelle liegen Wildschweine, gefolgt von den Afrikanischen Elefanten, deren 500.000 Individuen stolze 1,3 Millionen Tonnen wiegen.

Eine Überraschung stellen die Fledermäuse dar. Obwohl sie klein und leicht sind, stellen sie aufgrund ihrer riesigen Anzahl sieben Prozent der Biomasse von Säugetieren. Zählt man allerdings die Individuen, sind zwei Drittel aller Säugetiere auf der Erde Fledermäuse. Erst auf Platz zwei folgen die Nagetiere. In Summe beträgt die Masse der Landsäugetiere 22 Millionen Tonnen.

Im Meer wartet eine weitere Überraschung: Die Masse der Meeressäuger stellt jene auf dem Land mit 40 Millionen Tonnen in den Schatten. Ein Großteil davon stammt von Bartenwalen, allen voran den Finnwalen. Doch auch die nur 50.000 Blauwale machen mit einer Biomasse von drei Millionen Tonnen von sich reden und verweisen die massereichsten Robbenarten mit immerhin zehn Millionen Individuen auf die Plätze.

Der Elefant ist das schwerste Landsäugetier. Auch im Vergleich der Gesamtmasse aller Spezies spielen große Tiere die wichtigste Rolle.
Foto: imago images/imagebroker

Signal für Schutz von Wildtieren

Er hoffe, Studien wie diese könnten einen "sechsten Sinn für die Welt" vermitteln, sagt Erstautor Ron Milo vom israelischen Weizmann Institute of Science gegenüber dem Wissenschaftsjournal "Science". Um die Natur zu schützen, müsse man sie zuerst kennen. In der Studie betont das Forschungsteam, dass es bisher zwar viele Daten zu Biodiversität und der Veränderung des Artenreichtums gebe, detaillierte Schätzungen der gesamten Masse von Wildtieren aber gefehlt hätten.

Milos Gruppe sorgte bereits 2018 für Aufsehen, als sie eine Abschätzung für die Masse allen Lebens auf dem Planeten publizierte. Zwei Jahre später folgte eine Schätzung der Masse aller künstlich geschaffenen Strukturen. Schon damals schätzte man die Masse der wilden Säugetiere auf 50 Millionen Tonnen. Die neue Studie konnte diese Schätzung bestätigen.

Milo sieht die neuen Ergebnisse auch als Hinweis dafür, dass wild lebende Säugetiere zunehmend bedroht sind: "Ich hoffe, dass dies ein Weckruf für die Menschheit ist, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun sollten, um wilde Säugetiere zu erhalten."

Ein überraschend großer Teil der Säugetiermasse stammt von Fledermäusen, die durch ihre schiere Zahl beeindrucken. Zwei Drittel aller wild lebenden Säugetiere sind Fledermäuse.
Foto: imago images/imagebroker

Die wilden Säugetiere bilden letztlich nur einen kleinen Teil der Biomasse des Planeten. Eine Tiergruppe mit rekordverdächtiger Verbreitung sind die Ameisen. Schätzungen gehen von 80 Millionen Tonnen Gesamtmasse aus, was zwölf Millionen Tonnen reinen Kohlenstoffs entspricht. Das ist mehr als alle wild lebenden Säugetiere und alle Vögel zusammen.

Eine Spezies stellt aber selbst diese Zahlen in den Schatten: der Mensch. Alle Menschen auf der Welt bringen insgesamt etwa 390 Millionen Tonnen auf die Waage. Das wird nur noch von den Nutztieren und den damit in Verbindung stehenden Tieren (beispielsweise den Ratten) übertroffen. Sie kommen auf 630 Millionen Tonnen. Hier sind wie gesagt nur die Säugetiere mitgezählt. Das Huhn, das inzwischen das häufigste Landwirbeltier des Planeten ist, fehlt in der Rechnung. (Reinhard Kleindl, 4.3.2023)