Im Tiroler Skigymnasium Stams werden die Weltmeisterinnen und Weltmeister der Zukunft ausgebildet.

Foto: Panama Film

"Ich wollte auch die religiöse Dimension des Skisports in Österreich zeigen." Unter dieses Motto stellt Bernhard Braunstein seine Dokumentation Stams über das Skigymnasium in der Tiroler Gemeinde. Wenn Wintersport insgeheim die österreichische Nationalreligion ist, darf Stams als das Lourdes der jungen Sporttalente gelten. Dorthin pilgert, wer es einmal bis ganz nach oben auf den Olymp der Rennfahrer und Skiflieger schaffen will.

Das Heilsversprechen der Wintersportreligion lautet in etwa wie ein Buchtitel von Dirk Stermann: Sechs Österreicher unter den ersten fünf. Doch vom Erhabenen im olympischen Goldmedaillenhimmel ist es nicht weit zum profanen Trainingsalltag herunten auf der eisig harten Piste.

Diesen Blick hinter die Kulissen des Skizirkus unternimmt Braunstein in seinem filmischen Schulbesuch. Die Trainer feuern die jugendlichen Schüler und Schülerinnen an, immer wieder erklingt das Mantra "Gemma, gemma, gemma" in den heiligen Hallen der sogenannten Kaderschmiede. "Elite" ist hier ein durchaus positiv besetzter Begriff. Für den Überbau sorgt der Priester in der Sonntagsmesse oder der Mentaltrainer mit einer Klangschale.

Mit Kierkegaard auf die Piste

Zwischen Predigt über gottgegebene Talente und Motivationsvideos über die Spitzensportler, die es geschafft haben, wird an den Träumen über Weltcup-Kristallkugeln gearbeitet. Das Produkt dieser Optimierung ist der vielfach beschworene "eiserne Wille". Sogar im Philosophie-Unterricht wird mit Kierkegaard nach der Identität von Körper und Geist gefragt.

Spaß am Sport spielt hier keine entscheidende Rolle mehr. Einmal beklagt ein Skischüler, er würde einfach gern wieder einmal frei fahren wie früher als Kind. "Du bist ein Mensch, aber musst liefern wie eine Maschine." Diese Diskussionen unter den Jugendlichen über die frühe Professionalisierung und den Leistungsdruck sind die besten Szenen des Films. Leider fragt hier keine Stimme aus dem Off nach. Der Film kommt nicht mit den Teenagern ins Gespräch über ihren Lebenstraum und den hohen Preis, den sie dafür bezahlen.

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Beobachtung aus der Distanz

Genau in dieser emotionalen Ambivalenz liegt der wunde Punkt, den die Doku deutlich werden lässt, ohne nachzubohren. Stams folgt streng der klassischen "Fly on the wall"-Dokumentarfilmschule, bleibt beobachtend auf Distanz. Die kritische Haltung äußert sich subtil, manchmal mit sanfter Ironie einiger Szenen, die nur die sehen, die sie sehen wollen.

Wie schon in Braunsteins minimalistischem Ausflug in ein Pariser Sprachcafé aus dem Jahr 2017, Atelier de conversation, stehen dabei keine einzelnen Protagonisten im Vordergrund. Er ist an der Institution und dem Ort interessiert. Anders als auf den Siegertreppchen im Sportfernsehen porträtiert der Film die Schüler und Schülerinnen als Ensemble samt solidarischem Zusammenhalt.

Stams ist auch ein Film über ein Internat. Einen Ort, der im Kino oft als Horrorsetting herhalten muss. Der reale Bodyhorror sind hier die Verletzungen. Der Umgang damit wird schon im Unterricht geübt, wenn ein Unfallchirurg sein Handwerk an einer Knieattrappe demonstriert. Der Salzburger Regisseur folgt dem Lauf eines Schuljahres mit Verletzungstiefen und Wettkampfhöhen in ruhigem Rhythmus. Der Fokus liegt dabei ganz auf den Jugendlichen, die Erwachsenen drumherum sind Nebendarsteller. In der knappen Freizeit spielen sie Gitarre, stehen am DJ-Pult oder unterhalten sich über Sinn und Zweck der Schinderei.

Premierentour mit Promisportlern

Antworten darf sich das Publikum selbst geben, je nach eigener Begeisterung für den Leistungssport. Die Doku führt damit über sich hinaus, wird erst in den Debatten im Kino wirklich fruchtbar werden. Etwa auf der Premierentour, unter anderem mit prominenten Diskutanten wie ÖSV-Präsidentin Roswitha Stadlober und Felix Gottwald, aber auch kritischen Sportstimmen wie Nicola Werdenigg und Toni Innauer.

Dieser offene Zugang von Stams ist in der Skination Österreich am Ende sicherer. In Tirol führte kürzlich schon die Erwähnung von Hafermilch in einem Werbespot zu todernsten Debatten. Über den Skisport sollte man hier also, frei nach dem Tiroler Musiker Werner Pirchner, "um die Gesundheit zu schonen, seine Meinung nicht sagen, sonst geht es einem an den Kragen". (Marian Wilhelm, 2.3.2023)