Was bei der kleinen Meerjungfrau Arielle schon ein ausgewachsener Skandal gewesen ist, wächst sich mit Tinker Bell zu einer Katastrophe aus. Ein Vulkanausbruch mit Feenstaub, glühende Lavaströme, die sich ungehemmt über das Auge des Betrachters wälzen und alles unter sich begraben, was verbürgtes Recht und angestammte Erbpacht gewesen ist: Fabelwesen haben einfach weiß zu sein!

Die Fee Tinker Bell über dem Eingang von Disneyland Paris.
Foto: REUTERS/Benoit Tessier

Was für eine Frechheit, den Kindern eine schwarze Meerjungfrau anzudrehen, noch schlimmer: eine dunkle Fee (nein, nicht die Maleficent mit Angelina Jolie, die wäre ja okay gewesen). Wo kämen wir denn hin, wenn man einmal einen neuen Blickwinkel einnehmen sollte! Geradezu bedrohlich wäre das. Weiß haben die Feen zu sein, weiß die Meerjungfrauen, Rassenlehre fürs Märchengesocks!

Freiheit der Kunst

Im Übrigen kann man auf jeder Seite des Kulturkampfes aufs falsche Einhorn setzen. Vermisst wird schmerzlich jede Balance. Zwischen die Absetzung jenes Stückes, das nur Männerrollen zu bieten hatte (das Warten auf Godot ist da sehr eindeutig), weil diese Männerrollen mit Männern besetzt wurden, und das Skandalisieren der biologisch rechtswidrig unblond und unrosig besetzten Begleiterin von Peter Pan passt kein Blatt Papier.

Beides greift die Freiheit der Kunst an, die dazwischen aufgerieben wird. Diese Freiheit aber braucht die Kunst zum Atmen. Nur Meerjungfrauen saufen im Luftleeren nicht ab. (Julya Rabinowich, 6.3.2023)