Der opulente Bildband "Oscars – Glamour auf dem roten Teppich. Eine Fashiongeschichte der Academy-Awards" ist im Verlag Prestel erschienen. 480 Seiten, € 59.
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Wir erinnern uns: Schauspieler Timothée Chalamet hängte sich im vergangenen Jahr bei den Oscars eine schimmernde Smokingjacke über den bloßen Oberkörper. Noch dazu stammte die kurz geschnittene Jacke aus der Frauenkollektion von Louis Vuitton. Der Boulevard raunte: ein nackter Männeroberkörper!

Halbnackt am Red Carpet: Timothée Chalamet.
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Einige Jahre zuvor erschien der Schauspieler Billy Porter in einem dramatischen Smoking-Abendkleid-Hybrid aus Samt vor den Kameras. Ein männlicher Schauspieler in einer bodenlangen Abendrobe, das hatte es bei dieser Veranstaltung noch nie gegeben. Der Star der FX-Serie Pose wollte das Blitzlichtgewitter nutzen, um Dresscodes infrage zu stellen. Die Auftritte von Chalamet und Porter wurden damals in den sozialen Netzwerken diskutiert, auf dem roten Teppich der Oscars haben sie Geschichte geschrieben.

Genderbending: Billy Porter bei den Oscars 2019.
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Aufgeblättert

Nun sind sie in dem opulenten Bildband Oscars – Glamour auf dem roten Teppich zu bewundern. Aber nicht nur die Anzüge und Kleider der vergangenen Jahre werden auf den 480 Seiten aufgeblättert. Die Modejournalistin Dijanna Mulhearn versammelt die wichtigsten Outfits seit der ersten Oscarverleihung im Jahr 1929. So lässt sich entdecken, dass der rote Teppich bei den Oscars immer mehr war als eine glamouröse Kleiderschau. Ist in den vergangenen Jahren verstärkt für Gleichberechtigung, Diversität, Nachhaltigkeit demonstriert worden, kritisierte die Schauspielerin Bette Davis schon 1936 mit einem biederen Kleid, das für den Film Housewife entworfen worden war, die Abhängigkeit der Künstlerinnen und Künstler vom Studiosystem Hollywoods.

Der Bildband erzählt aber auch, wie der Red Carpet seit den 1990er-Jahren von Stylistinnen und Stylisten übernommen wurde. War Kim Basinger 1990 noch in einem selbst entworfenen Fantasy-Kostüm aufgekreuzt, entdeckten die Luxusmarken (im Bild Susan Sarandon 1996 in D&G) bald das kommerzielle Potenzial des roten Teppichs. Die Auftritte der Schauspielerinnen und Schauspieler fielen erwartbarer und weniger selbstbestimmt aus. Einer der Gründe für die Professionalisierung? Die spitzen Kommentare der US-Modekritikerin Joan Rivers. Sie wurden im Social-Media-Zeitalter von Diskussionen auf Instagram oder Twitter abgelöst. Ein Wunder, dass es manchmal noch zu Überraschungen kommt – wie einem bloßen Männeroberkörper. (RONDO, Anne Feldkamp, 11.3.2023)